Ein Gedankenspiel

Eine Woche vor Berlin kann man sich auch mal seine Gedanken über dieses unglaubliche Mega-Event machen. Es werden 39.999 LäuferInnen (ich bin ja nicht dabei) aus aller Herren Länder in Berlin an den Start gehen um ihr sportliches Glück in Form der Finishermedaille im Zielbereich zu suchen und zu finden. Das klingt einfach fantastisch…

Und doch: je nach Wetterlage werden viele, die sich durch Berlin gequält haben, danach angeschlagen sein. Man nennt es auf Neudeutsch auch “Open Window Effect”. Das Immunsystem ist in den ersten 24 Stunden extrem anfällig gegen jegliche Störungen von außen und Viren und Bakterien haben ein Leichtes den geschundenen Körper in Mitleidenschaft zu ziehen. Das ist beim Karneval nicht anders. Der körpereigene Schutz ist durch den Alkoholexzess so ruiniert, das eine Erkältung gerne Einzug hält. Ich sage einfach mal:

Es bleiben 27.865 LäuferInnen über.

Geschätzt gut 20% der TeilnehmerInnen werden mit irgendwelchen Blessuren über die Berliner Zielliene laufen, humpeln, sogar eiern, die vorher so nicht einkalkuliert waren. Blasen wegen falscher Socken- oder Schuhwahl, vergessene Pflaster oder Vaseline Packungen an empfindlichen Stellen sind die kleinsten Übel. Krämpfe in den Beinen durch Dehydration oder Überanspruchung. Rebellierende Mägen durch das falsche Gel…

Es bleiben also 22.316 LäuferInnen über.

Schaue ich mir die Ergebnisliste des Jahres 2014 an, war ein gewisser Herr Dennis Kimetto aus Kenia der Erstplatzierte, der letzte Finisher Toni Emanuek Kjael aus Dänemark auf Platz 28.946. Es haben somit von 40.000 TeilnehmerInnen 11.054 SportlerInnen das Ziel aus welchen Gründen auch immer nicht erreicht.

Es bleiben also 11.262 LäuferInnen über.

Ein Teil des Feldes ist nur des Geldes wegen nach Berlin gekommen. WeltklasseläuferInnen, Pacemaker und Überatlethen wurden eingesetzt um Berlin im rechten, besser richtigem, Licht hinaus in die Welt strahlen zu lassen und durch sie zu sagen zu wollen: Ihr Völker der Welt! schaut auf diese Stadt! Uns ist eine neue Fabelzeit geboren und wir haben es wieder einmal geschafft. Denn dieses edle Grüppchen mit den Genen von Anthilopen und Gazellen gekreuzt, muss wohl auch abgezogen werden da ihr Herz zwar für den Langstreckenlauf aber noch ein bisschen mehr für das Geld schlägt. Es ist einfach ihr Job. Vermutlich würden die Kenianer auch bei den Bertlicher Straßenläufen im beschaulichen Herten zur selben Zeit teilnehmen, hätte der SUS Bertlich 1945 e.V. die finanziellen Mittel zur Verfügung. Was wäre das für eine Schlagzeile: “Kimetto läuft in Herten Weltrekord!”

So bleiben also 11.202 LäuferInnen über.

11.202 LäuferInnen die aus dem internationalen Mega-Event eine lokale Großveranstaltung machen.

Und mit lokalen Großveranstaltungen kann ich gut leben. Wenn ich den Berlin Marathon 2015 mit einem Marathon wie Köln, Münster oder Hannover vergleiche, verblasst auch irgendwie der Glanz um dieses Spektakel. Lass sie doch laufen die Kenianer und Äthiopier, sollen sie doch Geld für Ihre Familien verdienen, das tun wir doch auch Montags bis Samstags, Woche für Woche. Wir sind auch immer wieder Weltklasse, nur keiner bekommt es mit. Die allein erziehende Mutter mit 2 oder 3 Kindern, der Nachbar der sich mit einer chronischen Krankheit durch sein Leben kämpft…

Aber ich schweife ab. Soll es doch kein Appell gegen dieses Mega-Event sein. Ganz und gar nicht. Ich muss es mir und meiner Wade dieser Tage nur so einfach wie möglich machen. Es hat nicht sollen sein. Ende! Und ich komme um diesen Open Window Effect herum. Aber Herzschmerz ist schon da.  Nenne ich es doch Open heart effect. Verheilt spätestens 2016 in Berlin. Bei dem internationalen Mega-Event. Ich freu mich schon…

Wie alles begann…

Ich sehe diesen Blog aktuell als Multi Therapieversuch mich einerseits abzulenken, aber auch den Umgang mit diesem Medium kennen zu lernen. Anfängerfehler bitte ich zu entschuldigen.

Ich sitze also auf meinen Sofa und blogge das erste Mal über die letzten erlebten Tage:

Für alle die es nicht mitbekommen haben soll erwähnt werden, das ich im Oktober 2014 an der Startplatzverlosung für den Berlin Marathon am 27.09.2015 teilgenommen und und einen der begehrten Plätze ergattert hatte. Daraufhin wurde schnell ein preiswertes Hotel im Start – Zielbereich gefunden (nein, nicht das Adlon) und ein Zimmer reserviert um den Stress am Starttag möglichst gering zu halten.

Mitte Mai 2015 bin ich angefangen, mich mittels Online Trainingssystem auf das WK Highlight hinzuarbeiten und habe durch unterschiedliche Trainingsreize meine ultimative Wettkampfform gefunden. In den letzten Tagen war ich mir sogar sicher mein Ziel Sub 3h 39min deutlich zu unterbieten und an einer für mich unfassbar schnellen Zeit von 3h 34min zu kratzen. Alle Zeichen standen auf Grün.

Donnerstag, 17.09.2015 17Uhr 30 – Während der Aufbauarbeiten einer lokalen Fachmesse fängt es an zu regnen. Ich schwinge mich aus dem Messegebäude zu meinem Wagen um noch etwas zu besorgen. Wie jedeR von uns das schon 1000x gemacht hat. haste ich schnellen Schrittes ca. 50m zum Auto, als es auf halber Strecke in meiner linken Wade ein Knall oder Überspringen gibt und mir sofort Schmerzen in die Wade schießen. Diese Kombination ist mir vollkommen neu und mir ist sofort bewusst, das hier etwas “kaputt” gegangen ist. Gehen ist nicht mehr wirklich möglich. Frustiert, wütend auf wen und was auch immer, fahre ich nach Hause und verabschiede mental das erste Mal von meinem Traum Berlin Marathon.

Freitag, 18.09.2015 08Uhr 30 – ich komme aus der orthopädischen Praxis und habe das Ergebnis der Untersuchung: Muskelfaserriss im M. gastrocnemius, in einem der beiden großen Wadenmuskel. Ausheilzeit 4-6 Wochen. Mit einem Kommentar: ” Sie laufen Marathon, aber nicht diesen. Schönes Wochenende!” wurde ich entlassen und sitze jetzt wie ein Häufchen Elend in meinem Auto. Meine Sicht verwässert… Ich verabschiede mich endgültig von meinem Traum.

Dank des unglaublichen Zuspruchs meiner Frau, meiner lokalen Laufcrew, der TRRCRW, (s. rechts der Followerbutton) und vielen Twitterkontakten versuche ich mich zu fangen und werde aufgefangen. Der Lauf ist gelaufen. Ich erhalte super viel Mitleid und Genesungswünsche muss aber letztlich selbst mit dieser “A-Karte” klarkommen.

Einer der Tipps war ich solle Bloggen, das würde ablenken und man könnte seinen Frust herunter schreiben.

Samstag, 19.09.2015 11Uhr 10 – der Schluppenchris Blog ist geboren und ich schreibe…