Hallo, ich bin´s! Der Schnäppchenmann vor dem Herrn, der alles besser oder aber zumindest billiger kann. Dann aber entweder die Lust verliert oder das Budget… Ach egal 😉
Kapitel 1 – der Impuls
Nachdem ich letztes Jahr den autarken Emsradweg Lauf #ERWEL probiert hatte und feststellen musste, das Equipment tragen (inkl. Isomatte, Schlafsack, Bivy etc) und laufen zwar machbar ist, aber am Ende des Laufens noch zu viel Tag über ist, war mir da schon klar das ich einen Packer hinter mir her ziehen müsste. Ein Packer, Sulky oder Pilgerwagen der am Beckengurt mit zwei Deichseln und meist mit zwei Rädern hinter dem Laufenden hergezogen wird. Also Internet auf, Preise checken, schlucken, Internet zu. Traurig sein. Dabei möchte ich hier eindringlich und ausdrücklich sagen, das ich über die Qualität und Leistungen der kaufbaren Packer nichts sagen kann. Auf Grund der Qualität und eher im Manufakturbereich liegenden Stückzahlen sind die aufgerufenen Summen für ein “mal so just for fun” einfach zu hoch. Also das ganze Projekt erst einmal wieder einstampfen. Einstampfen heißt in diesem Falle eher mit den passenden Hefen ansetzen und im dunklen feuchten Keller langsam reifen lassen.
Kapitel 2 – die Idee
Die Tage gehen ins Land und aber auch gar nichts erinnert mich an die weiter reifende Idee mit einem Packer mindestens die Galaxie zu umrunden. Bis ich eines Tages vom Europaradweg E1 erfahre. Dieser abgefahrene Radweg geht von Calais 4500 km bis ins ferne St. Peterburg. Soweit nichts verwerfliches. Das der E1 aber durch Münster, über den Prinzipalmarkt, also etwa 300 m von meiner Arbeitsstätte entfernt Richtung Berlin führt, erzeugt in mir wohlige Wärme und einen leicht höheren Puls. Ein Zeichen? PLOPP – ein Weg, ein Packer, eine Idee, ein Ziel. So einfach ist also ein neues Ziele (Wünsche /Bedürfnisse?) zu definieren. Mit einem Wägelchen also den E1 autark bis Berlin laufen, auf Grund der Transportmöglichkeiten ein wenig Komfort und Luxus dabei zu haben als Ziel den Reichstag in Berlin anzusteuern und dann mit der Bahn zurück. Fertig!!!
Kapitel 3 – erste Pläne
Internet auf, Packer recherieren und vergleichen, Internet wieder zu machen, weil sich die Konstellationen natürlich nicht geändert haben und traurig sein. Der Sparfuchs in mir hat natürlich gleich Witterung aufgenommen und es kommt wie es nicht anders kommen sollte. #DIY “do it yourself” und #MYOG “make your own gear” sind die neuesten Schlagwörter des umsetzwilligen Hobbykonstrukteurs.
Letztlich entscheide ich mich einen faltbaren Golf Trolley, also einen Golfschlägertaschentransportmobil, welches ich umbauen möchte. Die Basis scheint stabil, die Räder rollen satt und leise, das Vehikel ist zusammenfaltbar und relativ leicht. Schnell habe ich Möglichkeit mit Gewindestangen gefunden, die es mir ermöglichen meine Reisefracht zu verzurren und zu transportieren. Als Beckengurt bestelle ich mir den preiswertesten Klettergurt aus dem Bergsport und modifiziere ihn nach meinen Wünschen. Was bleibt ist einfach nur die Verbindung zwischen Vehikel und mir. Und bleibt. Und bleibt. Und bleibt. Und erzeugt neben Kopfschmerzen neue Fluchwörterkombinationen, die selbst meine Frau wundern. Mittlerweile reißt die Probiererei ein immer größeres Finanzloch in meinen “Nur mal so” Budget, das mich alles an die aktuellen Probleme des Segelschulschiffs Gorch Fock und den Flughafen BER erinnert. Mir bleibt also nur eine Möglichkeit: weiter machen oder abbrechen. Ich entscheide mich für den Abbruch. Der Sparfuchs hat schon lange die Fährte verloren, alles in allem bin ich an dem Punkt semiprofessiones Gewurschtel angelangt und ziehe enttäuscht die Notbremse.
Kapitel 4 – es wird professionell
Nachdem ich wieder einmal das Internet durchforste und die immer gleichen Bilder sehe, erscheint mir warum auch immer plötzlich der [Werbung ] deutsche Hersteller cart4go.de, der Pilgerwagen bzw. Packer zum Wandern baut – grundsolide, leicht und durchdacht. Ein erster Check zeigt mir sog. Eindeichsel Modelle, die über einen Hüftgurt gezogen werden. Ich schreibe Herrn Kuna, den Hersteller und Anbieter dieser Gefährte an, ob er eine Möglichkeit sieht mit diesen Modellen auch zu laufen, oder ob es reine Wanderwagen seien. Wir wechseln Telefonummern und in einem ersten Gespräch, merke ich schnell, das er seine Wagen mit Passion baut.
Ich schlage ihm die Idee vor, ein Zweideichselwagen zu bauen, der laufbar ist, den ich dann auch gerne bei ihm in Kleve Probe fahren würde. Herr Kuna erbittet eine Woche Geduld und dann fahren meine Frau und ich nach Kleve um uns von seinen Packern zu überzeugen. Vor Ort erklärt er jedes Detail mit Stolz und Hintergrund, ich laufe diverse Modelle die Straße auf und ab und schließlich erwerbe ich sein “Runner” getauftes Prototypenmodell: mit breiterer Spur, kleineren Rädern, tiefem Schwerpunkt, zwei Deichseln und Beckengurt.
Einige Tage mache ich mein Glück mit einer 31l Ortlieb Rat Pack Tasche perfekt.
Was bleibt ist die Einsicht, das andere es besser können, ich viel Lehrgeld bezahlt, aber viel neues über Materialien, Stabilität, Scherkräfte, Kippwinkel, Schwerpunkte, Hebelgesetze und allerhand anderer Physik in der Praxis gelernt habe und so buche ich meine Eigenkonstruktion als Erweiterung meines Wissensstands ab und bin glücklich.
Kapitel 5 – Dortmund ist nicht Berlin
Aktuell stehe ich vor dem Punkt, das mir für einen Trip nach Berlin die Zeit fehlt, aber der vor meiner Nase fließenede “Dortmund-Ems-Kanal” eine tolle Plattform bietet mich und den von Herrn Kuna getauften “Runner” zu testen. Mir schwebt eine Art 24h Abenteuer startend von Dortmund vor: autark und ohne externe VPs soweit laufen und gehen wie es einem in 24 Stunden möglich ist…
Kapitel 6 – Auf geht´s (wirklich!!!)
Es ist Samstag und meine Frau setzt mich mit meinem Vehikel am Anfang des Dortmund-Ems-Kanal (DEK) am Mineralölhafen ab. Sie schaut mir nach, ich ihr. Jetzt heißt es tapfer sein und dem Weg folgen bis…? Keine Ahnung. Zum Glück scheint noch die Sonne und so ziehe ich um 19.30 Uhr los zur ersten richtigen Ausfahrt. Nach etwa 400 m bin ich am Kanal und und ich genieße die ersten Meter. Das Tempo ist sehr moderat, ich entschleunige bei Sonnenuntergang und schängle mich an mehreren Shisha Cliquen durch Dortmund.
Ich spüre die Blicke, eine Mischung aus Staunen und abfälliger Belächelung. Einmal muss ich an vier aufgemotzten Polos vorbei. “Boah, wat geht mir die Düse” mag der Ruhrpottler sagen. Wenn ich aus Versehen mit meinem Wägelchen an den Fuhrpark der potenz strotzenen Berufeinsteiger komme, bin ich vermutlich einen Kopf kürzer. Aber zumindest lande ich im Kanal. Aber: alles geht gut und und ich ziehe weiter. Gegen 21:00 Uhr verabschiedet sich die Sonne und ich laufe durch die Dämmerung. Der Weg führt mich mal links, mal rechts am DEK vorbei. – Plötzlich bemerke ich ein schleifendes Geräusch. Meine Tasche ist durch die ständige Ruckelei auf dem Schotter nach hinten gerutscht. Ich halte an, löse die zu langen (noch nicht nervigen) Spanngurte, setze die Tasche wieder auf, verzurre alles und laufe weiter.
Irgendwann ist es wirklich so dunkel, das ich mir die Stirnlampe aus meinem Laufrucksack hole und von kurzem auf langes Shirt wechsle. Aus Langeweile plärrt aus meinem Handy Musik. Dann ein schleifendes Geräusch. Meine Tasche hat sich wieder verselbstständigt, hängt gefährlich über der Kante und schleift. Ich halte an, löse die zu langen (leicht nervigen) Spanngurte, setze die Tasche wieder auf, verzurre alles noch fester und laufe weiter.
Ich komme an einem Parkplatz für Kanalschiffe vorbei. So etwas habe ich noch nie gesehen: dort parken über Nacht mehrere 80-90 m langen Schiffe. In den Kajüten flimmert teilweise der Fernseher, die meisten sind schon dunkel. Allerdings hat das horizontale Gewerbe wohl hier auch einen Stützpunkt und so roller ich zwischen Wohnwagen und Relingschwalben her. Mir ist nicht wohl dabei, werde aber ignoriert. Laufbekloppte sind augenscheinlich schlechte Kundschaft. Wahrscheinlich müffel ich zu sehr…
Dann sehe grüne Punkte auf dem Wasser leuchten. Glühwürmchen? Nein, sie bewegen sich nicht. Hö? Erst im letzten Moment erkenne ich, das an grünen im Wasser schwimmenden Leuchten Angler hängen, die in Camouflage gekleidet dem Hobby Nachtangeln nachgehen und mit ihrem Equipment an der Böschung sitzen. Selbstleuchtene Schwimmer. Hightech in der Angelwelt. Ich denke, wirklich alle anwesenden Personen habe eine schräge Meinung zum Hobby des anderen.
Weiter geht es. Nach längerer dunkler ruhiger Phase höre ich wummernden Bass. Nicht sehr laut aber näher kommend. Dann erkenne ich auf der anderen Kanalseite einen Pavilion, eine große Akku Licht- und Tonanlage und junge Menschen, die feiern. Gänsehaut für mich. Ich liebe diese Momente, an dem mich nur ein kleiner äußerer Impuls aus meiner Lethargie abholt und ich neue Energie tanke. So einfach geht es…
Der Kanal ist spiegelglatt, der Mond mittlerweile untergegangen und es ist ganz schön dunkel. Ab und zu komme ich an Nachtanglern oder einer Gartenkolonie mit Party vorbei. Dann ist wieder Ruhe. Eigentlich mag ich die Stille, den Spot meiner Lampe, das immer monotone Geräusch meiner Schritte.
Ich komme in die nächste Stadt. Es muss kurz nach 3 Uhr sein, als ich eine Gruppe Jugendlicher auf meinem Weg sehe, die zusammen hocken und laut miteinander reden. Sie stehen links an einer Bank, auf meinem Weg mehrere Fahrräder. Mist – denke ich, einfach lässig bleiben, die wollen nur spielen. Als ich mich an ihren Fahrrädern vorbei schlängle, meldet sich der “Anführer” lautstark und pfeift seine Clique an: “EY STELL MA´RÄDER WEG!!!” Ich: “Ach, geht schon.” Er: “GEHT SCHON, LASS!!!!”. Puh – als Kleinstädter bzw. Dörfler fehlt mir einfach die Großstadtsouveränität. Leider.
Ich laufe weiter durch die Nacht, das linke Becken nervt ein bisschen zu viel um das Problem wegzudenken. Wahrscheinlich kommt es von der ungewohnten Belastung durch den Gurt und den Zug nach hinten. Ich wäge ab: eine Strecke X laufen aber dann mit Schmerzen in Hüfte und Becken über mehrere Tage oder ein ” positiver Abbruch”, glücklich nach Hause zu kommen und viel gelernt zu haben. Ich entscheide mich für die vernünftige Wahl, biege kurz vor Münster (noch 11km) ab Richtung Heimat (14km laut Schild) und zuckel frohen Mutes nach Hause. Ich hätte schließlich die Strecke Dortmund – Münster geschafft. Mehr als respektabel, wie ich finde… 73km wollen erst einmal gelaufen werden. 11 Stunden Auszeit sind Balsam für die Seele.
Um 06.15 Uhr stehe ich glücklich vor der Haustür, verstaue meine Sachen, mache mir einen Kaffee und alles ist Toll! Ich bin mit mir und der Welt zufrieden, gehe duschen, lege mich aufs Sofa und binnen Minuten bin ich eingeschlafen.
Tage später denke ich über die gelaufenen 73 km nach. Erst da wird mir bewusst, wie weit diese Strecke ist. Wie viele Menschen rackern sich ab um einmal in ihrem Leben einen Halbmarathon oder Marathon zu laufen? Da ich in einer (Ultra-) Laufwolke lebe, bei der diese Distanzen zwar nicht alltäglich sind, aber auch keinen hinter dem Ofen hervor locken habe ich wahrscheinlich eine veränderte (beschränkte?) Sichtweise. In diesem Moment wird mir wohlig warm. Das habe ich richtig gut gemacht. Und ich habe nicht mal Muskelkater.
Kapitel 7 – Nachtrag:
Ich habe festgestellt, das mein Wägelchen stabil ist und ich noch viel Freude mit ihm haben werde. Das man mit Anhänger deutlich langsamer ist und das in der zukünftigen Streckenplanung mit eingedacht werden muss. Das Problem mit der rutschigen Tasche will ich durch Griptape aus dem Skate Shop in den Griff bekommen: dann ist die Tasche aus LKW Plane nicht mehr auf glattem Alu Rohr sondern auf rauherem Untergrund. Das Problem mit Wasser hätte ich gar nicht haben müssen, hatte ich doch schon einen viel festeren Faltkanister mit max 10 Liter Kapazität zur Hand, aber durch Faulheit nicht genutzt. Die Spanngurte muss ich einfach kürzen. Ansonsten freue ich mich schon auf die nächste Tour. Vielleicht mit Schlafsack und Wechselklamotten an Bord.
Abenteuer olé, wir sehen uns bald wieder!!!