Wir treffen Christian, Mitte 40, einen dieser Menschen, die sich voll und ganz ihrem Hobby verschrieben haben. Christian läuft gern. Laufen nicht in dem Sinne von Firmen- oder Stadtläufen. Ihn reizen die Strecken jenseits des Marathons. Alles über 42,195km würde man Ultra nennen. Das hätte nichts mit den Stadion Raufbolden beim Fussball zu tun, erklärt er mir und lacht. Sein Lachen ist ansteckend, ein Typ der in sich ruht, mache ich mir Notizen.
Wir haben Christian bei seinem letzten Lauf dem sog. Kölnpfad begleiten dürfen. Mit seinem Freund Christian aka Trailtiger erleben wir eine Strecke von unglaublichen 110km. Der Fernwanderweg verläuft einmal um ganz Köln und zeigt viele unterschiedliche Facetten der Rheinstadt. Die Gesamtlänge ist eigentlich 171km, aber sowas macht ja keiner erklärt uns “Tiger”.
Freitag Abend: Christian treffen wir zu Hause an, wie er gerade all seine Sachen und Ausrüstungsgegenstände fein säuberlich zusammen legt. Da habe jeder seinen eigenen Stil, so Christian. Später treffen wir noch seine Frau Nina und fragen sie nach dem Vorhaben. Angst habe sie nicht, die beide würden sich blendend verstehen und gut aufeinander aufpassen. Sie hätte ihn halt laufend kennen gelernt und unterstützt seine Vorhaben. Manchmal würde es ihr allerdings auch zu bunt, lacht sie.
Christian verabschiedet sich gegen 22:00 Uhr und geht zu Bett. Der Wecker ginge schließlich um 05:00 Uhr.
Wir verabschieden uns und verabreden uns für Samstag 06:00 Uhr.
Fröhlich öffnet Christian uns die Tür. Nervös, nein nervös wäre er nicht. Aber eine gewisse Aufregung gehöre schließlich dazu. Wir fahren gemeinsam zuerst Richtung Ruhrgebiet, um in einer Kleinstadt seinen Freund “Tiger” und gefühlt eine Woche Urlaubsgepäck einzuladen. Danach geht es weiter zum Zielbereich nach Köln, wo sich die beiden Namensvetter ihre Startnummern abholen und letzte Vorbereitungen treffen. Um 08:45 Uhr fährt sie und ca. 40 weitere Teilnehmer eine gecharteter Reisebus zum eigentlichen Start am Rheinenergiestadion. Im Bus herrscht gute Stimmung, Teilnehmer lachen und zeigen sich belustigt über die Wettervorhersage. 30 Grad sollen es wohl werden, so Tiger.
Um kurz vor 10:00 Uhr versammeln sich alle Ultraläufer um den Veranstalter Tom Eller, der eine kurze Rede hält. Er weißt nochmals auf spezielle Streckenabschnitte und die Wärme hin. Trinken, trinken, trinken, so Eller. Gemeinsam zählen alle herunter und pünktlich setzt sich die Läuferschar in Bewegung.
Das erste unerwartete Hindernis taucht noch am Rheinenergiestadion auf. Ein Ordner lässt die Läufergruppe nicht am Stadion vorbei. Nach kurzer Diskussion wird es diesem aber zu bunt und lässt zähneknirrschend die Sportler durch…
Der Kölnpfad ist einer von 14 Rundwanderstrecken, die vom “Kölner Eifelverein” betrieben und unterstützt werden. Dieser über 125 Jahre alte Wanderverein markiert mit einem weißen Kreis auf schwarzem Grund den Weg und ebnet dem Wanderer die Möglichkeit einzelne Etappen oder die komplette Strecke zu durchgehen.
Zurück zu unseren Hauptakteuren, die sich mittlerweile in einem eher ruhigen Lauftempo bewegen. Immer wieder kommt es vor das sie eines der Hinweistafeln übersehen. Teils durch rankende Pflanzen, teils durch Vandalismus. Kein Problem erklären beide: der sog. GPX Track sei auf den Handys und auf einem Handheld, einer Art Navigationsgerät für Wanderer geladen.
Nach ca 12km erreichen wir den ersten Verpflegungspunkt (VP). Die Läufer, die den kompletten Kölnpfad absolvieren, haben zu dem Zeitpunkt schon 75km in den Beinen. An jedem VP warten freiwillige Betreuer, die häufig selbst Ultraläufer sind oder einen besonderen, meist familiären Draht zur Szene haben. Ein freundliches Wort, ein Stück Melone, die Getränkeflaschen aufgefüllt, geht es schnell weiter.
Die Strecke wechselt immer wieder zwischen angenehm schattigen Stücken und offenen Grünflächen. Man merkt jetzt schon das es eine Hitzeschlacht werden wird.
Wir dürfen an den Gesprächen der beiden teilhaben: zwischen ruhigen Momenten wird gelacht und gefoppt. Aber auch ernste und sogar kritische Töne werden angeschlagen. “Stell uns in ein paar Stunden mal eine Rechenaufgabe, da sind wir gaga” lacht Tiger. Der Körper würde auf Schonbetrieb umschalten und so bliebe halt nicht mehr so viel für das Rechenzentrum über.
Nach weiteren 13km kommen wir zum nächsten VP. Flüssigkeit auffüllen, eine Handvoll Studentenfutter, ein paar Stücke Melone. Diese Stationen sind wahre Oasen, liebevoll drapiertes Obst, Müsliriegel, allerhand unterschiedlicher Getränke lassen auch uns das Herz höher schlagen. Aber es geht weiter.
Die nächsten Kilometer geht es direkt am Rhein entlang. Rechts der Fluss, links die überholenden Radfahrer. Man müsse sich halt arrangieren erklärt mir Tiger. Derweil der erste Gemütsausbruch von Christian. Haben wir ihn doch als einen ruhigen und sympathischen Läufer erlebt, raunzt er jetzt herum. Der Tiger lacht und erklärt: jetzt ist er in seinem Element. Christian könne sich gern an kleinen Dingen aufregen und die Wärme mache halt auch was aus. Aber so schnell sich Christian aufgeregt hat, kommt er auch wieder runter. Wir traben weiter am Rhein entlang, überqueren die Autobahnbrücke der A4 und folgen dem Fluss in die andere Richtung. Nach weiteren 11km erreichen wir wieder einen VP.
Dort erwarten uns liebe Menschen, die nicht nur eine Massage Liege und Zelte zur Erholung aufgebaut haben, einen Kühlschrank am Generator, oder eine Bierzeltgarnitur, sondern auch eine mobile Dusche installiert haben, die beide gleich nutzen um ihre T -Shirts nass zu machen. Kühlung ist das A und O. Hier erleben wir die Ultra Welt. Inning und verbunden. Nach 10min Oase geht es auch schon wieder weiter.
Wir sind unterwegs zum nächsten VP. Christian macht uns Sorgen. Er wird zunehmend schweigsamer und lässt sich einige Meter nach hinten fallen. Derweil erklärt uns der Tiger, daß das ganz normal sei. Es gebe halt Höhen und Tiefen im Ultra laufen. Man komme da selbst wieder raus, manchmal wüsste man halt nicht den Weg aus dem Dilemma. Christian greift zu seinen Kopfhörern. Selbst wir hören den stampfenden Technobeat, dem er sich jetzt hin gibt.
Wir kommen in ein Waldstück, schattig und angenehm. Der Kölnpfad ist zum Trampelpfad geworden. Wir müssen hintereinander laufen. Als ich mich umschaue, liegt Christian gerade auf dem Boden und rappelt sich auf. Den Sturz haben wir nicht mitbekommen. Wutentbrannt taucht er unter uns weg, setzt sich an die Spitze und läuft ein Tempo, welches viel zu schnell für dieses Unterfangen ist. Der Tiger hält mich zurück. Wir sollen ihn ziehen lassen, er müsse das jetzt mit sich ausmachen. Nach 5 Minuten ist der Spuk wieder vorbei. Wir bewegen uns wieder ruhig durch die Landschaft. Mittlerweile brennt die Sonne erbarmungslos auf uns nieder. Auf einmal gibt es Unstimmigkeiten zwischen den beiden. Der nächste angekündigte Erholungspunkt ist nicht dort, wo er laut Briefing sein soll. Beide schauen auf ihre Handys, vergleichen und beratschlagen sich. Eine Lösung haben sie nicht, er wird schon kommen.
Er kommt auch. Dort erleben wir, wie zwei der Teilnehmer das Handtuch werfen. Sie sind raus, ein sog. DNF (did not finish) ereilt die beiden. Diese Momente sind die traurigen und dunklen Seiten der Ultraläufe. Häufig liegt es nicht an körperlicher Erschöpfung sondern das das Kopfkino den Sportler mürbe macht. Das könne jeden treffen, so Christian. Und solche Vorlagen brächten einen gerne selbst in Grübeln.
Was jetzt kommt wird in der Kölnpfad Comunity später liebevoll als Todeszone bezeichnet. 17km bis zum nächsten Verpflegungspunkt zur besten Nachmittagszeit ohne einen Schattenpunkt lassen uns erschaudern. Abwechselnd gehen und laufen wieder an. Die Sonne brennt, die Grillen zirpen, Wind, wenn überhaupt, weht warm über unsere Körper und fordert uns alles ab. Wir bleiben an einer Böschung stehen, die uns kurz Schatten bietet. Die Luft flimmert, weit vor uns ein Sportler, weit hinter uns ein anderer. Wir gehen alle an unsere Grenzen. Doch was dann passiert sind diese wunderbaren Momente, von denen die Ultras immer wieder berichten. Wir kommen an eine Biegung am Ende einer Wohnsiedlung. Dort hat der Besitzer einen Gartenschlauch mit einer Regendusche in seine Birke gehängt und unablässig rieselt das Wasser auf die Strecke. Einfach so. Wir kühlen uns ab, freuen uns für den Moment und traben weiter. Danke!!
Am Ende dieser Felder tauchen wir wieder in den Großstadtdjungle ein. Auf der linken Seite taucht auch ein Supermarkt auf. Christian schert aus und läuft Richtung Supermarkt. Kurze Zeit später kommt er mit Calippo Eis für alle wieder. Wir freuen uns über diesen tollen Zug.
Wir merken, das die Sonne nicht mehr so intensiv brennt, auch die Schatten werden länger. Das Schlimmste ist also überstanden. Am nächsten VP erwarten uns viele Teilnehmer die auf Isomatten im Schatten sitzen, ihre Blicke teils weit weg, teils auch im jetzt. Christian kommt mit einer Kartoffelsuppe wieder und freut sich. Wir stehen zusammen und leben die letzten Stunden noch einmal durch. Das war brutal sind wir uns einig. Nach 15 Minuten geht es langsam wieder weiter. Erst gehend, dann langsam anlaufend.
Plötzlich sind die beiden Christians nicht mehr allein. Sven hat sich zu ihnen gesellt. Sie kennen sich noch vom letzten Jahr und sind gleich auf selber Wellenlänge. Das Tal scheint durchschritten zu sein, es wird gelacht und gespaßt und allen tut die Abwechslung merklich gut.
Weiter geht es Richtung Bensberg. Die ursprüngliche Strecke sollte durch den Königsforst gehen, doch es gab Unstimmigkeiten zwischen Ämtern und Veranstalter. So laufen wir nicht durch sondern quasi um den Königsforst. Der Schatten und die Kühle des Waldes gibt den dreien Energie zurück. Die Temperatur ist gerade hier im Wald deutlich angenehmer. Immer wieder gibt es kurze Gehpausen, aber es gibt insgesamt neue Zuversicht.
In Bensberg angekommen ist der nächste Verpflegungspunkt kurz vor dem Schloss fast an höchster Stelle auf einer Terrasse. Als wir ihn erblicken, werden auch wir gesehen. Athleten und Helfer klatschen und jubeln. Jeder feiert jeden. Ich muss mittlerweile meine Meinung über die wahnsinnigen Laufspinner endgültig über Bord werfen, erlebe ich doch immer wieder tolle Momente wie diese. Niemand ist allein, jeder fragt nach, sollte man den Eindruck haben das der oder die Überholte gerade durch ein Tief geht. Eine große wunderbare Gemeinschaft. Das gibt es nur bei den Ultraläufen, so Christian. Ab 42km werde alles viel entspannter, das Konkurrenz Denken sei vorbei.
Wir machen in Bensberg eine längere Pause, sitzen das erste Mal, tanken Körper und Seele auf. Auf meine Nachfrage wie weit wir sind, denke ich an die Rechenaufgabe vom Anfang. Ich bekomme unterschiedliche Aussagen. So ca. 80km lachen mich die drei an. Ist also nicht mehr weit.
Die Sonne geht langsam unter und wir laufen durch kleine Dörfer und überqueren Felder und Wiesen. Mal als Trampelpfad, mal als breiter Radweg. Dann kommen wir an einem Bauernhof vorbei und der Tiger schreit: “Christian, hier ist dein Kakaoautomat!” Was jetzt passiert wundert mich selbst nicht mehr: Christian schwenkt aus zu einem Automaten, an dem man Milch selbst zapfen kann. “Hier hat er letztes Jahr um 02:00 Uhr nachts einen Kakao gekauft und war selig. Verrückter Kerl…” erklärt Tiger.
Die Sonne ist mittlerweile verschwunden und wir laufen mit Stirnlampen. Immer wieder tauchen jetzt Wanderer auf, die sich an den 100km versuchen, die der Veranstalter auch organisiert hat. Reflektierende Marker an ihren Körpern und deren Equipment lassen sie von weitem schon ausmachen. Beim Vorbeilaufen jubeln wir ihnen zu und bekommen Szenenapplaus. Eine wunderbare heile Welt.
Ich war der Meinung alles heute schon erlebt zu haben, aber was die sog. Laufbrigade Oberberg auf einem Parkplatz aufzieht sucht seines gleichen. Ich fühle mich eher wie auf einem Rockertreffen. Laute Heavy Metal Musik und Grillwürstchen erwarten uns. Wer keine Wurst will bekommt warme Worte und Tomatensuppe. Eine ausgelassene Stimmung wie auf einem Gartenfest nimmt uns ein. Immer wieder helfende Hände betüddeln uns auf Herzlichste. Als wir wieder losziehen, beklatschen sie uns in die Nacht. Noch 20km rechnet Tiger uns vor. Also weiter gehts.
Wir laufen durch Wälder und über Schotterwege. Kalt ist uns allen nicht. So langsam kommen selbst bei mir Gedanken auf, das Ziel des Kölnpfads zu finishen. Sven sagt, ich könne jetzt auch spazieren gehen, so viel Zeit sei noch bis zum Cut Off, dem Zielschluss. Weiter geht´s. Wir wechseln immer wieder waldige Passagen gespickt mit Weihern und kleinen feinen Wohngebieten. In einem Waldstück sind sich Tiger und Sven sicher: gleich kommt der letzte VP. Und wahrlich. Was uns dort erwartet lässt unsere Herzen höher schlagen: wie eine Einflugschneise einer Landebahn sind auf dem Waldweg rote Kerzen aufgestellt. Wir landen. Und sind glücklich. Es gibt für jeden noch einmal Getränke, Riegel, liebe Worte. Eine der Helferinnen fragt uns ob wir hinter uns jemanden gesehen hätten. Tiger antwortet, das wir jemanden von den 171igern überholt hätten, der gar nicht gut ausgesehen hätte. Schnell schnappt sie sich hier Kopflampe und sagt, das sie ihm mal ein Stück entgegenlaufen wolle, dann würde es ihm nicht so schwer fallen. Ich sinniere: was geht ihnen diesen Mensch bloß vor, stehen zusammen und helfen sich wo es nur geht. Alle für einen, einen für alle.
Wir machen uns auf zur finalen Etappe, sind es doch noch 10km von insgesamt 110km. Ein letztes Mal durch Wälder, an quakenden Fröschen vorbei, ein langes tristes Stück an einer Eisenbahn vorbei überqueren wir alsbald eine Wiese und tauchen ein letztes Mal ein in die Zivilisation. Der Tiger lacht. “Gleich kommt noch ein Waldstück, es ist noch nicht vorbei.” Wir traben durch die Nacht. Mittlerweile ist es 02:30 Uhr, wir sind seit 05:00 Uhr auf den Beinen.
Der Wald spukt uns aus. Wir überqueren ein letztes Mal eine Straße und laufen in den Zielbereich. Es wird gejubelt, es wird geklatscht, die drei umarmen sich herzlich. Sie nehmen auch mich in den Arm, war es doch auch für mich ein unvergessliches Erlebnis. Geredet wird nicht mehr viel, zu müde sind wir alle.
Gegen 04:00 Uhr fahre ich die beiden Christians nach Hause, Sven mussten wir vorher Lebe Wohl sagen. Sie sind mir dankbar, Kupplung treten wäre jetzt uncool, grinsen sie. Etwa 05:00 Uhr ist auch meine Reise vorbei, mache es mir in meinem Auto gemütlich und schlafe ein paar Stunden. Ich denke noch so das ….und dann bin ich auch schon weg.
Was bleibt ist eines der tollsten Abenteuer die ich erleben durfte. Dieser Einblick in eine Gemeinschaft, die auch Fremde mit offenen Armen aufnimmt. Keiner ist allein, alle ziehen an einem Strang. Ich erinnere mich, das ich die beiden auf der Hinfahrt gefragt habe, ob laufen süchtig machen könne. Sie verneinten es, aber das drum herum wäre schon toll. Jetzt weiß ich warum sie es machen, dieses Ultra laufen, jenseits der 42,195km.
Vielen Dank Sven, Tiger und Christian.