“Au Ja!!!” das ist, zumindest in meiner Region der gängige Ausruf von Menschen ab drei Jahren aufwärts, wenn man fragt ob man Eis essen gehen soll.
“Au Ja!!!” war auch mein erster Gedanke, als ich von diesem Hermann Nightrun hörte: Der Hermannslauf vom Hermannsdenkmal in Detmold durch den Teutoburger Wald Richtung Bielefelds Sparrenburg, den ich schon drei mal gelaufen bin- aber bei Nacht. Und das in den Geschmacksrichtungen Single 33km, Double 66km oder Tripple 99km. Klasse! Im Dunkeln laufe ich gerne, Hermann kenne ich, 33km kann ich. Also wähle ich natürlich die 66km, den Double.
Dieser, von Jan-Olof Wadehn privat organisierte Einladungslauf hatte es mir sofort angetan. Aber Einladungslauf? Ich musste mich also bewerben, mich selbst empfehlen? Na gut, ein paar Sätze in die Email über meine bisherige Laufkarriere geschrieben, abgesendet und relativ kurzfristig kam die Zusage. Cool ich war also dabei! es gab gleich großes Lob von meiner TRRCRW Laufcrew. Und auch auch über Twitter verbreitete sich dieser Lauf. So kam es das Christian, ein befreundeter Läufer der Crew davon erfuhr und Jan-Olof einige Fragen per email zukommen ließ, Jan sich aber gleich dazu entschloss Christian gleich auf die Liste zu setzen. Er selbst erfuhr von mir davon…
Wir Läufer haben ja “eigentlich” alles. Aber gerade neue Herausfordungen lassen uns sofort und permanent unsere Ausrüstungsgegenstände wie auf einer Sushibahn vor dem geistigen Auge herfahren, um dann doch ein Teil, Tool, Kleidungsstück oder was auch immer zu finden, welches für die neue Aufgabe so miserabel und untauglich erscheint, dass nur der Austausch gegen etwas noch besseres das Seelenheil besänftigen kann. Bei mir war es die Stirnlampe. Nicht das meine Alte schlecht war, aber für einen nächtlichen Double Lauf denkbar ungeeignet. Quasi mangelhaft und grob fahrlässig…
Spezifisch habe ich nicht auf dieses Abenteuer trainiert, der letzte lange Lauf war der Berlinmarathon, Nachtläufe nicht explizit weil gerne machend, nur mit dem “Laufnavi Handheld Dings” habe ich mehr lieblos herum gespielt, aber auf meinen technischen Sachverstand gehofft. Noch 24h vorher war ich in einem Laufladen, um mir einen neue Nachtlaufjacke zu kaufen. Doch dieses Vorhaben aus Vernunftsgründen gleich wieder verwerfend, weil in unerprobtem Material nicht gelaufen wird.
Dann war der Tag da: noch den halben Tag gearbeitet und sicher wie nie, hatte ich auf der Fahrt zum Treffpunkt nach Bielefeld das erste Mal “Muffensausen” und stellte die Sinnfrage. Sinn würde sicherlich ein bequemes Sofa mit Film und Bier machen aber doch nicht bei Vollmond und bis zu 5 Grad plus durch die Kälte zu laufen…
Bei Jan angekommen, wurden wir alle herzlich begrüßt -Christian war auch da- und nach dem Briefing und der Erläuterung wo die zwei Verpflegungsstellen seien, begann pünktlich um 22.00 Uhr der Trip!
Das muss man Jan lassen: perfekt ausgestattete Vps mit Wasser, Cola, Tee, alkoholfreiem Bier, Stullen, selbstgebackenem Kuchen usw. und eine fürsorgliche Radbegleitung die immer hin und her fuhr machten uns das Leben leicht. Selbst der Termin wurde zu einer Vollmond Nacht bewusst gewählt.
Christian und ich hatten uns schnell aufeinander eingestellt, es schien zu harmonieren. Auf einer solchem Strecke mit wenig weithin sichtbaren Abwechslung ist es das A und O das man gut klar kommt. Zuerst legten wir die Karten auf den Tisch: Wie ist der jeweils andere, wenn es gerade mal nicht läuft und der Kopf oder Körper SOS funkt und nicht mehr mag…
Im Laufe der Zeit hatten wir es so drauf, dass wir als Zweiergruppe durch die teutonischen Wälder zogen und es genossen. Wir witzelten, schrien, machten derbe Männerwitze und erzählten von Gott und der Welt. Und zack, hatten wir uns verlaufen! Wer nicht auf sein Handheld oder seine Navi Uhr schaut verdient es nicht besser. Gut 1,5km in die falsche Richtung, bedeuten am Ende 3km mehr auf der Uhr. Gut gelaunt schoben wir die Schuld auf den jeweils anderen.
An den beiden Vps betüdelt sahen wir dann endlich den Hermann bei Nacht. Toll beleuchet und wachend über uns und andere. Eine Ehrenrunde ums Denkmal, Fotolovestory und dann ging es zurück… Die Kälte kroch in unsere Glieder, die Schritte wurden stacksiger und schwerfälliger. Wir eierten mal über den teilweise sehr sandigen Reitweg oder kämpften uns über ausgewaschen Schotterwege deren Trugheit erst spät erkennbar war. Die Witze wurden schlechter, wir einsilbiger. Aus dem ehemaligen Au JA! wurde ein bei jedem neuerlichen Anlauf ein AU! ja…
Irgendwann gab Christians Stirnlampe den Batteriegeist auf, er hatte zum Glück noch eine kleinere schwächere Lampe dabei. Meine dagegen leuchtete jetzt uns beiden nebeneinander laufend den Weg aus. Balsam für Konto und Seele!
Bei km 56 ein besonderer Moment: noch nie war ich weiter gelaufen, noch nie mehr gemacht! Christian war dabei, würdigte den Moment, wir klatschten kurz ab. Es gab keine Rede, keinen Sekt oder Canapes. Es gab ein weiteres Energiegel mit der atemraubenden Geschmacksrichtung ähm, also vielleicht Chemiekirsche!
So langsam dämmerte es erst uns wie beschwerlich der Rückweg war, nein auch die Nacht verabschiedete sich so langsam und der neue Tag brach an. Welch Wohltat, wenn das Auge in die Ferne schauen kann.
Die letzten km durch Bielefeld machend, tauchten die ersten Hundebesitzer auf. Menschen standen vor dem noch geschlossenen Bäcker. Sie alle waren wieder wach, wir immer noch.
Selbst im Ziel, in Jans Garage begrüßte uns jemand fröhlich lachend und versorgte uns. Es war zu dem Zeitpunkt kein großartiges Gefühl, es war Leere, wir waren platt, aber zufrieden unserer Leistung.
Ich werde noch einige Tage brauchen, um vollends zu verstehen, was wir da gemacht haben. Könnte aber was mit Dauergrinsen und Fred Feuersteins “YAPAADAPPAAADUU” zu tun haben. Im Moment denke ich über den Kauf eines Treppenlifts nach. Au JA!!!!
Ich krasser = krüppeliger Typ, ich…. 🙂
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Fact: Start Samstag 22:00 Uhr, mit Pausenzeiten knapp 10h unterwegs, mit allen großen und kleinen Verläuferchen ca. 71-72km bei über 1600hm auf 90% Waldautobahn unterwegs.
FunFact: Beim Abbiegen von der Autobahn A33 auf die A2 Krampf in der Kupplungswade bekommen und Notgedrungen irgendwie im Leerlauf die Spur gewechselt. Beim Abfahren von der Autobahn ein ähnliches Schauspiel.. Man hupte mich an, ich fluchte..