In den letzten Wochen und Monaten ist es hier etwas ruhiger geworden. Selbst meine liebe Ma fragte schon nach, wann sie denn endlich wieder einen der Berichte bekommt, die ich ihr ausdrucke und die sie dann fein säuberlich abheftet.
Gefühlt war viel los, Gedanken müssen aber manchmal erst abgehakt, katalogisiert und bewertet werden. So war ich z.B. mit Marina als Supporter bei einem Backyard im pfälzischen Rettert. Ein Backyard ist ein Stundenlauf, in der man versucht innerhalb einer Stunde die ca 6,7km zu bewältigen und pünktlich zur vollen Stunde wieder an der Startlinie zu stehen. Klingt einfach, wenn das Spektakel allerdings über Stunden, ja Tage dauert ohne das die Aspiranten*innen viel Schlaf bekommen, ist das (An-)spannung für Körper und Geist. Marina hat vorab mal zu mir gesagt, sie wolle schon versuchen weit nach vorne reinzulaufen, so dachte ich mir einfach, das ich sie supporten könnte.
Der Lauf begann und eine Horde Verrückter setzte sich unter vorher kontrollierten Corona Bedingen abends um 20:00 Uhr auf die erste Runde. Mit dabei war auch mein Freund Christoph, der dieses Format zum ersten Mal probierte.
Marina und Christoph liefen konstante Rundenzeiten und so konnte ich sie immer ca 10 – 15 Minuten vor der nächsten vollen Stunde empfangen und ihnen Ihre “Wünsche” erfüllen. Mal ein warmer Tee, mal eine deftige Speise. Support bei einem Backyard bedeutet ca. 40 Minuten langweilen um dann von XX:45 – XY:05 Uhr voll auf der Höhe zu sein. In der Zwischenzeit bummelte ich herum, lag mich in meinen Wagen, schlief ca. 20 Minuten und wartete. Man kann viel nachdenken über Gott und die Welt.
Das Feld lichtete sich zusehends… Immer wieder stieg der Eine oder die Andere aus, packte die Sachen zusammen und fuhr nach Hause.
Marina und Christoph drehten weiter ihre Runden und so vergingen die Stunden.
Nach gefühlt 22 Stunden fing an mir die Decke auf den Kopf zu fallen und ich wurde quengelig. Insgeheim hatte ich zu dem Zeitpunkt den Wunsch und die Hoffnung das Marina vielleicht nach 24 Stunden aussteigen würde. Sie wäre dann die letzte Frau im Feld.
Da dem Support der Support fehlte und ich so mit keinem anderen drüber sprechen konnte, wendete ich mich zur 23. Stunde an Marina und erzählte ihr. Damit hatte ich, wie ich später erfahren sollte auch ihr mentales Kartenhaus ganz schön ins Wanken gebracht. Sie erteilte mir die Absolution nach Hause zu fahren, triggerte mich aber gleichzeitig mit den Worten, das sie mich hier! brauchen müsse. – Mein Helferimpuls bekam urplötzlich neue Lebensgeister und ich wieder Biss. Jemanden hängen lassen war nun wirklich nicht mein Stil und so war ich energiegeladen genug, mit Marina in die zweite Nacht zu laufen.
Christoph stieg als zu letzt Dritter nach 28 Stunden aus. Nach eigenen Angaben hatte er keine Lust mehr. Es begann das Showdown Marina gegen den erfahrenen Ultraläufer Michael. Die nächste Stunde begann. Christoph schlief mittlerweile im Auto, Alex der Veranstalter, die Sportfotografin, Michael und sein Adjutant sowie Marina und ich ich waren die letzten verbliebenen Anwesenden.
Marina überzeugte am Start mit guter Laune und Fröhlichkeit, sang und tanzte, Michael pokerte mit Erfahrenheit und Trashtalk. Beide wollten jetzt zum Äußersten und “Last (Wo-)Man standing” sein. So ging es in die 30. Stunde und so ging es in die 31. Stunde.
Zum Start der 32. Stunde stellten sich beide wieder an die Startlinie und im letzten Moment sagte Michael zu Marina, er würde aufhören und sie solle die letzte Runde alleine laufen und sich den Sieg abholen. Wenn ich daran denke, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut und vielleicht auch glasige Augen.
Aufgeregt zog Marina von dannen, ich ging zu Christoph und weckte ihn umgehend. Es war so absurde Situation: ich klopfte an seine Autoscheibe, er schaute mir aufgeschreckt und entsetzt in die viel zu helle Stirnlampe, ich schrie, das Marina auf der letzten Runde war. Marina schickte mir derweil eine Whatsapp, welches Lied sie denn hören wolle, wenn sie ins Ziel käme. So keck muss man erst mal sein…
Jubelnd empfingen wir Marina, die nach 32 Stunden den Backyard in Rettert gewonnen hatte und somit ein goldenes Ticket für die Backyard WM 2021 in Tennessee gelöst hatte. Alle Misstöne, jegliche Müdigkeit und Anspannung waren vergessen.
Wir feierten noch kurz und legten uns dann doch einige Stunden schlafen, bevor wir die Heimfahrt antraten.
Das musste erstmal alles verarbeitet werden….
Am nächsten Tag rief mich Marina etwas verunsichert und aufgeregt an, das sich Alex, der Veranstalter bei ihr gemeldet hatte, weil er vergessen hatte ihr mitzuteilen, das sie mit dem Gewinn auch einen Startplatz bei der diesjährigen ganz besonderen Backyard WM gelöst hätte. Die diesjährige Backyard WM sollte auf Grund der weltweiten Covid19 Pandemie nicht zentral in Tennessee stattfinden, stattdessen sollten sich weltweit “Nationalmanschaften” bilden, die als 15er Teams global in ihrem Heimatland an der Backyard WM 2020 teilnehmen. Und da wäre halt noch ein Platz für sie reserviert.
Nur zwei Wochen später startete sie somit im badenwürtembergischen Kandel mit Edelhelfer* Christoph, der vor Ort supportete. (*Nachtrag: ich telefonierte eben mit Christoph und er echauffierte sich in einem Nebensatz ein wenig über den Begriff “Edelhelfer”. Er: “Das hättest du auch getan.” Ich: “ja, aber du hast es 51 Stunden getan, ich nur 32!” Er: “Du hättest es auch 76 Stunden getan!” Ich: “Und Du 98….!” So ist das wohl zwischen uns beiden.)
Keiner wusste oder konnte ahnen, wie lange Marina laufen würde, selbst sie sagte, sie wäre sicherlich nach der kurzen Zeit in der Lage die Mannschaft bis aufs Letzte zu unterstützen.
Da ich um den Support des Supporters wusste, meldete ich mich immer wieder bei Christoph. wir telefonierten, tauschten uns aus und mit jeder Runde die Marina lief, wurde unser soziales Band dicker und fester. Manchmal erzählten wir uns einfach nur dummes Zeug, er übermüdet, ich mitfiebernd aus der Fremde.
Da schon so viel zu dieser verrückten vielleicht einmaligen Backyard Satelliten Situation geschrieben und gesagt wurde, erkläre ich den noch wenigen Unwissenden, das Marina das Ding mit 51h und 341km nach Hause gelaufen ist und diesen Backyard als deutsches Teammitglied gefinisht hat.
Ich bekomme immer noch kalte Hände, während ich das schreibe. Obwohl ich Null Kilometer gelaufen bin, waren es die aufregendsten und aufwühlendsten Laufgeschichten mindestens dieses Jahres für mich.
Aufregend und mit deutlich mehr Kilomtern ging es für mich weiter: Ich bin letztlich meinen 10.000ten Streak Kilomter gelaufen. Damit bedeutet es mindestens 10km an einem Tag im Durchschnitt zu laufen und versuche es so weiter. Warum? Keine Ahnung, es ist so gekommen und ich fühle mich sehr wohl dabei.
Das ist schon mehr als verrückt: angefangen aus einer Laune heraus, bin ich mittlerweile bei etwas über 900 Tagen, die täglich laufe. Mal laufe ich die Meile, mal deutlich mehr – so wie gerade kommt. Es tut mir gut, mich gerade in Covid Zeiten an etwas stabiles zu halten und den abgesagten Wettkämpfen nicht hinterher zu trauern.
Ich habe ja schon so manches zum Streaken hier in meinem Blog geschrieben, da möchte ich es auch dabei belassen. Ich bin einfach nur stolz und glücklich, das ich es geschafft habe, so weit und so viele Tage zu laufen ohne jegliche Verletzungen, Ausfälle oder gesundheitliche Einschränkungen. Bei Schnupfen läuft man die Meile, bei Husten auch. Bei allen anderen Wehwehchen muss man selbst entscheiden, wie weit man gehen will.
Wer hier mit gehobenem Finger sagt, ich hätte keinen Respekt vor meiner Gesundheit, dem möchte ich mitgeben, das der geneigte Streaker vermutlich mehr darauf achtet, das er auch morgen noch seine Runde drehen kann. Streak und Karantäne zum Beispiel kreisen zudem in meinem Kopf. Denn nur einen Tag pausieren, dreht das Rad wieder auf Null. Das wäre nicht schlimm, aber jammer schade. Und das wollen wir doch nicht…!
Allen Neu Streaker*innen, die jetzt in der zweiten Welle angefangen sind, wünsche ich viel Erfolg. Setzt euch nicht unter Druck, denkt immer nur an den nächsten Tag und nicht an irgendwelche Erfolgs Stories. Es ist nur laufen – und mit der Zeit werdet Ihr merken, das es gar nicht so recht ums laufen geht sondern um alles andere.
Das also ist der Status Quo. Es ist viel passiert, es passiert viel und es wird nicht langweilig. Ich versuche mich so gut wie es geht aus dem Schlamassel da draußen fern zu halten und bleibe fröhlich.
Passt auf euch auf 🙂