Zwei Blickwinkel – ist ein vielleicht spannendes neues Format, bei dem zwei oder mehr Akteure von der gleichen Sache berichten- und es doch ganz anders erlebt haben. In diesem Fall erlebt ihr die Geschichte eines Ultralaufs in der Reihenfolge aus der Sicht des Supporters (ich) und der Akteurin (Marina) und dem Akteur Ole. Holt Euch was zu knabbern, es dauert ein wenig.
Mein Laufleben wird (zum Glück) nicht langweilig. Nein ich war nicht laufen. Ausnahmsweise habe ich mich fast nicht bewegt. Und doch war es mit das spannendste Laufabenteuer, was ich bisher erleben durfte.
Wie diese verrückte Idee entstanden ist, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Fakt ist, dass es die sogenannten Hermannshöhen gibt. Diese beschreiben einen 226 km langen Fernwanderweg über den Hermannsweg von Rheine bis zu den Externsteinen und von da aus auf dem Eggeweg nach Marsberg.
Einigen wird der Hermannslauf bekannt sein, der von Detmold am Hermannsdenkmal startet und ca. 32 km weiter in Bielefeld an der Sparrenburg endet.
Die Hermannshöhen nehmen diese Strecke mit auf, sind allerdings 157 km lang und somit ein quasi 100 Meiler, also ein Lauf über 160km – eine der klassischen Ultralauf Distanzen. Die weiteren 69 km verlaufen dann über den Eggeweg.
Marina und ich sponnen so herum. Sie wollte ursprünglich mit ihrem niederländischen Laufbuddy Elzo den Hermannsweg laufen, ich hatte mich bereit erklärt, die beiden am Ziel wieder zum Auto am Start zu shutteln.
Doch dann kam Corona. Und Elzo nicht. Denn der arme Kerl durfte nicht nach Deutschland.
Unter Freunden respektiert man sich und Marina fragte Elzo, ob sie diesen Lauf wirklich auch ohne ihn durchziehen könne. Und Elzo gab natürlich seinen Segen.
Nur allein schon wegen mangelnder Verpflegung unterwegs ist so ein Lauf allein schwer möglich. Und so heckten wir beide den Plan aus, das ich die Verpflegung mit dem Auto übernehme und ca. alle 10 km an der Strecke warte um sie zu versorgen.
Es musste ja so kommen, das Marina im Internet von den Hermannshöhen las und für die ganze Strecke brannte. Ich auch!
Ich machte mich an die Planung die 226 km in kleine Häppchen zu zerteilen, gut erreichbare Plätze zu finden und mich auf meinen ersten Ultra VP Service vorzubereiten.Genau das habe ich gerne gemacht: Karten studieren, Karten ausdrucken, Strecken zu checken, Wege zu ergründen und nach und nach hatte ich alle Informationen zusammen.
Marina derweil konnte in ihrer Lauf Community einen Mitstreiter gewinnen: Ole aus Göttingen wollte mit.
Es konnte losgehen!
Am Freitag den 1. Mai morgens um 07:45 Uhr erreichen wir den Startpunkt vor dem Bahnhof in Rheine, ich baue meine zwei rotweißen Pylone neben dem Taxistand auf und werde verwundert beäugt: was das denn geben würde, werde ich gefragt. Ich sage Ihnen, meine beiden Mitstreiter wollen nach Marsberg, hätten aber kein Geld für ein Taxi.
Zu Fuß? Ja – Stille. So still, wie es morgens an einem Feiertag sein kann. Wir drehen derweil die Musik im Auto auf und heizen uns ein. Punkt 8 soll es losgehen.
Der Countdown beginnt und um 08:00 Uhr setzen sich die beiden freudestrahlend in Bewegung.
Ich laufe einige Meter mit und übertrage das Szenario ins Internet.
Mein Job wird Verpfleger, Ansprechpartner und Moderator dieses Laufs sein. Warum auch nicht, es würden bestimmt noch Momente der Ruhe kommen, wo ich meinen Senf an deren beider Verfolger übertragen könne.
Ich lade meine Hütchen wieder ein und fahre zum Verpflegungspunkt 1
VP1 – Freitag 09:00 Uhr
Ich kann natürlich überhaupt nicht einschätzen, wie schnell oder langsam die beiden unterwegs sein würden, und so mache ich alles bereit, was man nach 10km so brauchen kann. Vielleicht doch noch eine Jacke mehr, ein Shirt weniger. Wasser und Riegel.
Und so stehe ich an einem Waldrand und warte. Ich merke schnell, dass die Zeit des Wartens viel länger wird, wenn man wartet.
Aber gegen 09:00 Uhr kommen die beiden laut tratschend an den Wagen, füllen nach und sind auch schon wieder verschwunden. So könnte es weitergehen. Wichtig ist den beiden nur die Information in wieviel Kilometern ich wieder warten werde. Ich lade meine Hütchen wieder ein und fahre zu
VP2 – Freitag 10:05 Uhr
Ich habe viele der Verpflegungspunkte an erreichbare Parkplätze oder Wanderhütten gelegt und so fahre ich meinen zweiten VP an. Der Parkplatz voll mit Autos – morgens um 09:30 Uhr. Mist, aber gut. Ich parke also ca 200m weiter mitten an der Strecke. Marina und Ole wissen ja nicht den genauen Punkt, nur die ungefähre Entfernung.
Und so baue ich mein Tischchen auf, stelle die Pylone, (ich merke später, das es viel wichtiger ausschaut wenn man den Klapptisch professionell absichert), das Wasser und die Riegel auf den Tisch und warte im Auto. Freizeitsportler aller Art kommen vorbei, schauen und staunen, was wohl passieren werden würde. Ein paar Tropfen Regen fallen auf die Scheibe des Autos, sonst passiert aber nichts.
Dann geht das Telefon: Marina fragt wo ich sei, sie wären schon mehr als die von mir angegebene Strecke gelaufen und ich wäre nicht da. Ich schildere den beiden meinen Standort und höre nur, da wären sie schon vorbei. Kann ja nicht sein, ich stehe nunmal auf dem Track und dementsprechend müssen sie gegen meinen Wagen laufen. Sind sie aber nicht.
Wir schicken uns per Handy die Standorte und ich gehe ihnen entgegen. Minuten später finden wir uns, alles ist gut.
Die Strecke verlässt die Felder und es beginnt der Pfad in den Wäldern des Teutoburger Waldes. Tisch und Hütchen lade ich wieder ein und fahre zu
VP3 – Freitag 11:40 Uhr
Der Teutoburger Wald hat wirklich malerische, schöne und einsame Ecken. So einsam, das mein Tracker, den ich an Ole befestigt und der per SIM Karte im Handynetz des magenta Riesen herum funkt nicht oder häufig kein Netz hat und ich nur ungefähr sagen kann, wann Ole und Marina bei mir auftauchen. Unterwegs erhalte ich eine Nachricht von Marina, das Kaffee total gut wäre.
Kurzerhand entferne ich mich von meinem Stützpunkt, fahre durchs schöne Brochterbeck und finde tatsächlich einen Bäcker, der am 1. Mai geöffnet hat. Ich besorge Ole und Marina zwei Milchkaffee, fahre zurück und warte wieder an der Strecke. Relativ spontan gesellt sich Sarah dazu, eine Freundin von Marina, die mit den beiden ein Teilstück laufen und ihnen einfach ein bisschen Ablenkung und Smalltalk bieten möchte. (Wieder einmal) eine tolle Geste dieser Lauf Community.
So rücken die beiden an, trinken kurz ihren Kaffee, wir machen ein paar Fotos, dann sind die drei wieder verschwunden. Tisch und Hütchen lade ich in mein etwas durcheinander geratenes Auto wieder ein und fahre zu
VP4 – Freitag – ????
Wieder einmal muss ich mir gratulieren: eine brandneue Sitzgelegenheit aus Bänken und Tisch und einladendem Häcksel herum gestreut wartet auf die beiden. Die Sonne kommt heraus, das satte Grün leuchtet und ich setze mich in die Sonne. So kann es weitergehen. Und ich warte und warte und warte. Vergebens. Marina und Ole kommen einfach nicht.
Wir verpassen uns.
Im Nachhinein sieht man auf dem Track zwei parallel führende Straßen und entweder stehe ich an der falschen, oder die beiden laufen auf der falschen Straße. Kein Problem, wir verabreden uns kurzerhand an VP5. Ich packe also Tisch und Hütchen wieder an und rausche zu
VP5 – Freitag ca 13:00 Uhr
und muss durch die Verzögerung an VP4 nur 20 Minuten auf Marina und Ole warten. Ich zitiere aus meinen Notizen: “Ein Wanderparkplatz mit vielen Autos, die beiden verpflegen sich kurz, wundern sich genauso darüber was passiert ist, aber ganz wichtig: keiner nimmt jemandem etwas übel.”
Tisch und Hütchen wieder eingepackt geht es weiter zu
VP6 – Freitag 15:00 Uhr
Mein Plan wieder einen Wanderparkplatz anzusteuern wird von einem Räucherforellen Mobil gekreuzt. Hier stehen die Leute mit Sicherheitsabstand Schlange über den ganzen Platz. Ich wende, fahre einige 100 m zurück auf einen Parkplatz eines dauerhaft geschlossenen Jugendtreffpunkts.
Marina und Ole traben heran, wechseln die Klamotten, stärken sich und sind wieder verschwunden. ich rausche zu
VP7 – Freitag 16:00 Uhr
Mittlerweile kann ich ungefähr einschätzen, wie lang die beiden unterwegs sind, bzw. wie lange ich mich beschäftigen muss. Ich mache erst einmal Haushalt. Der Wagen sieht ziemlich wild aus und räume ein wenig auf. Die durchgeschwitzten Shirts trockne ich mit einer Art Sturmwäscheklammern an der geöffneten Heckklappe und während ich mir meinen Platz für die Isomatte freimache um ein kleines Nickerchen zu machen, sprechen mich zwei Wanderer an. Ich erkläre ihnen unverblümt alles zu den Hermannshöhen und der eine berichtet stolz, das er auch schon mal einen Halbmarathon gemacht hat. Ja Halbmarathon 21km, nicht Hermannshöhen 226 km. Hört Ihr überhaupt zu???
Ich bin ein wenig genervt, vielleicht die Müdigkeit denke ich mir, bleibe aber ruhig.
Als die beiden endlich weg sind lege ich mich auf die Isomatte, mache die Augen zu und mache sie wieder auf. Ich kann hier jetzt nicht schlafen, was ist wenn sie jetzt kommen und mich brauchen…? Also bummel ich die Zeit tot, gehe meinem Reporter Job nach.
Und da kommen die beiden an, gut gelaunt und fröhlich. Vorbildlich.
Ich fahre weiter Richtung Luisenturm an
VP8 – Freitag 17:45 Uhr
Dunkle Wolken ziehen auf. Mittlerweile ist es später Nachmittag geworden, wir drei sind schon einige Stunden unterwegs.
Wieder positioniere ich mich mit dem Tisch und meinem Pylonen, die Sonne hat sich hinter dunklen Regenwolken verzogen, der Wind frischt auf ich hänge rum. Das erste Mal wird meine Geduld wirklich auf die Probe gestellt. Nicht zuletzt weil ich mit mir alleine sein wollte habe ich jetzt die Quittung. Alleine etwas schönes zu tun ist etwas anderes, als alleine nichts zu tun und zu warten. Auf lesen in einem mitgebrachten Buch habe ich keine Lust, Das Internet bietet nicht vernünftiges, so räume ich noch ein bisschen auf und installiere im Macgyver Stil eine Wäscheleine im Auto.
Ich höre Laufgeräusche und drehe mich instinktiv um: ein Läufer mit Weste schaut auf meinen Tisch. Ich frage ihn einfach, ob er etwas brauchen könne und dankbar fülle ich ihm Cola in seine Flaschen. So geht das bei uns!!! Er bedankt sich herzlich und zuckelt weiter.
Später kommen die beiden an. Wir sind alle gerade etwas angefressen. Ole und Marina dürfen das sein, ich versuche gut gelaunt zu bleiben. Was die beiden nicht brauchen können ist an ihrer VP Insel einen schlecht gelaunten Gastronom.
Auf meine Frage ob ich was machen könne sagt Marina: Pizza Margherita wäre cool. Somit ist die Aufgabenstellung am nächsten VP klar. Pizza muss her. Zum Glück ist
VP9 – Freitag 19:15 Uhr
in Halle Westfalen. Zivilisation, Menschen, Handyempfang, Dauerregen.
Zuerst schaue ich mir meinen nächsten Treffpunkt an und stehe unter einer Brücke der Bundesstraße. Hier ist es wenigstens trocken. Dafür stehe ich mitten an der Ausfahrtsstraße, vorbei fahrende Autos sind laut, durch Regen und Gischt noch lauter. Aber der Platz ist ok.
Ich fahre weiter in die Stadt rein und finde die Pizzeria Alfana, die ich hier bewusst namentlich erwähnen muss. Trotz der Tatsache, das ich nicht vorbestellt habe, wird meine Abhol Margherita vorgezogen und sie schmeckt später unglaublich lecker. Danke euch!!!
Die Schachtel wickel ich in die Isomatte ein um nicht zu viel Wärme zu verlieren. Leider ist sie bei Verzehr doch kalt.
Ich baue den Tisch auf, packe fröhlich meinen neuen kleinen Gaskocher aus und mache mir einen sonst bestimmt niemals so leckeren Instant Kaffee. Eigentlich ganz romantisch…
Dann kommen Marina und Ole und wir lassen uns die Pizza schmecken. Es wird geflucht und es wird gelacht. Teamplay at its best.
Die beiden ziehen weiter, jetzt mit Stirnlampe, denn die Dämmerung macht sich breit. Das Licht der Stadt lasse ich hinter mir und fahre weiter zu
VP10 – Freitag 20:35 Uhr
Ich stehe auf der einen Seite von Bielefeld, wieder an einem Parkplatz und warte. Warten ist eines der Dinge die ich heute schon geübt habe. Warten ist langweilig und so räume ich mal wieder meine Isomatte frei und versuche die Augen zu zumachen. – Geht nicht. Mein Kopf ist wach, voller Unruhe. Über den Tracker kann ich ungefähr sehen, wo die beiden sind und wandere ihnen entgegen.
Und da kommen sie schon: Ole hat was zu feiern: er ist das erste mal so weit gelaufen wie jetzt, die ersten 100 km sind geknackt. Ole ist glücklich und stolz. Wir freuen uns für Ihn.
Am VP werden Klamotten getauscht, Bäuche gefüllt, Getränke abgefüllt. Alles geht seinen Gang und dann sind die beiden schon wieder verschwunden.
Die anzusteuernden VP Punkte habe ich mir als Längen- und Breitengrade in meine Liste notiert und ich muss Zahlenreihen wie 51.992513 / 9.546277 eingeben. Der Unaufmerksamkeit oder schlechten Lichtverhältnisse mache ich bei der Eingabe fahre ich nicht zu VP 11 sondern
Irgendwohin.
Ich stutze – Zum Glück kenne ich mich hier um Bielefeld mit dem Track ein wenig aus und ich weiß, das ich hier falsch bin. Also gebe ich die Längen- und Breitengrade erneuert ein und fahre zu
VP11 – Freitag 22:25 Uhr
Mittlerweile ist es dunkel und ich suche mir einen Platz an einem großen beleuchteten Restaurant Schild. Ich baue mich und alles andere auf und möchte mir Wasser für ein Heißgetränk machen. Da es windig geworden ist suche ich mir ein windschattiges Plätzchen auf dem Boden und starte den Brenner. Alles geht seinen Gang und ich richte mich gemütlich ein. Als ich Minuten später nach dem Wasser schaue steht alles in Flammen und riecht scheußlich. Mir wird sofort klar was passiert ist: Um den kleinen Kochtopf ist eine Art durchsichtiger Kunststoffbehälter zur Zu- oder Nachbereitung von Speisen. Den habe ich übersehen abzunehmen und so läuft der flüssige Kunststoff über den Brenner. Blöd, aber nicht zu ändern. Den Brenner kühle ich herunter, knibbel das erstarrte Kunststoff ab und starte von neuem.
Ein dunkler Kombi fährt vor und ich denke gleich an eine Zivilstreife. Die beiden Jungs gehören allerdings zum benachbarten Restaurant und fragen erst distanziert und dann immer freundlicher was ich hier treibe. Sie sind total interessiert, ich zeige ihnen mein Roadbook und wir drei quatschen 15min über den Ultralauf Sport. Zuletzt verabschieden sie sich mit den Worten: wenn wir noch was brauchen würden, sollten wir einfach zum Restaurant kommen. Tolle Menschen vom Restaurant Habichtshöhe in Bielefeld.
Dann sehe ich auch endlich die tanzenden Stirnlampen in der Dunkelheit. Marina und Ole haben es zu mir geschafft. Die Pausen werden länger, man merkt ihnen die noch nur körperliche Erschöpfung an. Sie stärken sich, wir drei laufen gemeinsam ein Stück in die Nacht hinein und ich packe wieder alles zusammen. Auf geht es zu
VP12 – Freitag 00:00 Uhr
Oerlinghausen – meine Perle. Dachte ich. So schnuckelig das Örtchen ist, ich finde den Track nicht. Weder meine ausgedruckten Karten, die Längen- und Breitengrade noch irgendwas anderes hilft mir und so schreie ich kurzerhand mein Auto zusammen. Das hilft aber auch nicht. Stattdessen parke ich irgendwo und mache mich zu Fuß zum Ortskern. Normalerweise gehen diese Fernwanderwege immer an der Dorfkirche vorbei und so finde ich irgendwann auf einem Schild das weiße “H” auf schwarzem Grund. Ich merke mir die Stelle, gehe zum Wagen und fahre zurück.
Es ist 23:45 Uhr als ein schwarzer Twingo neben mir parkt. Ein Typ steigt aus und geht zu meinem Fenster. Oh nein denke ich, die Dorfjugend ist auf Krawall gebürstet. Doch stattdessen ist es Daniel, auch ein Freund der beiden, der sich kurzerhand entschlossen hat, mitten in der Nacht mit Marina und Ole eine Stück zu laufen. Alles so herzlich Bekloppte.
Das muss man sich vorstellen: da ist ein Typ, der im Laufe des Feiertages einen Marathon gelaufen ist und quält sich nun nachts vom Sofa zum supporten. Mega!
Sie kommen zu zweit und gehen zu dritt. Es ist Nacht geworden, ich bin müde, die Kälte kriecht in die Klamotten aber klagen möchte ich nicht. Lieber fahre ich weiter zu
VP13 – Samstag ??:??
Meine Originalaufzeichnungen: “Keine Erinnerungen – komisch”
Auch im Nachgang habe ich keine Erinnerungen an diesen VP. Selbst wenn ich mir die Stelle bei Google Maps in der Naturdarstellung ansehe, habe ich einen Filmriss. Geschuldet der Müdigkeit? Wer weiß…
VP14 – Samstag 03:00 Uhr
Es ist mittlerweile ca. 03:00 Uhr morgens, ich stehe an der Zufahrt zum Hermannsdenkmal auf dem Parkplatz. Hier peitscht der Wind. Es ist eklig draußen, ich suche lange nach einem Plätzchen der wenigstens ein wenig geschützt ist. Die beiden haben sich Nudeln gewünscht und so versuche ich Wasser zum kochen zu bringen. Der Brenner muss alles geben. Auf einem Tisch leuchtet eine Petroleumlampe in die Dunkelheit. Ich will den beiden ein Licht in die Dunkelheit senden. Jetzt wo es hart wird, die Müdigkeit, die Dunkelheit, der Frust und die Kälte in jede Ritze kriecht muss ich besonders für die beiden da sein. Umso mehr freue ich mich, als die beiden kommen. Die Stimmung ist rauh und wortkarg, gefühlt sage ich Marina fünf mal, sie soll auf das siedende Wasser aufpassen, doch der schnell gegriffene Schlafsack schmeißt den Topf um. Ich bin gereizt, sie ist gereizt, wir entschuldigen uns, ich stecke die beiden ins Auto für ein Power Nap und fange wieder von vorne an. Mir ist kalt. Und so fang ich morgens um Drei mit meinem täglichen Lauf an: gut zwei km lege ich auf dem Busparkplatz zurück, ehe das Wasser wieder kocht. Streak geschafft, Essen ist da, allen geht es besser.
Solche Situationen gehören einfach dazu, übermüdet sieht man ob ein Team funktioniert. Und wir drei funktionieren. Nachdem Ole und Marina sich gestärkt haben geht es weiter. Mit steifen Knochen eiern sie vom Platz und laufen langsam an. Kein schönes Bild, aber so ist es halt. Ich packe ein und fahre zum
VP15 – Samstag 05:00 Uhr
ich fahre nach Horn-Bad Meinberg. Dort endet der Hermannsweg an den Externsteinen. Das wäre also der erste Teil des Tripps.
Mein Plan, die beiden an den Externsteinen zu empfangen misslingt. Entweder führen die Straßen ins Nichts oder sind wegen einer Baustelle gesperrt. Darauf habe ich überhaupt keine Lust. Schon im Hellen macht das keinen Spaß, nachts schon mal gar nicht. Ich halte an einem Parkplatz und checke die Situation. Ich verschiebe letztlich meinen VP etwa 300m von der Strecke und teile Marina und Ole die Situation und Position mit.
Müde und genervt lege ich mich einen Moment hin.
Da klopft es auch schon wieder am Auto. Ich muss wohl doch eine knappe Stunde geschlafen haben, denn es hat angefangen zu dämmern. ENDLICH!!! Die Nacht ist vorbei. Ich behaupte: nur wer mal die Nacht durchgelaufen ist, weiß wie sehnlich man auf diesen Moment wartet, wie sehr es einem einen Schub versetzt, die Laune steigt, die Hoffnung wieder da ist und wie froh man ist. Auch mir geht es gerade so! Wir lachen wieder.
Und die beiden haben das erste Teilstück geschafft. Trotzdem frage ich ob unsere Reise hier endet oder auf dem Eggeweg weitergeht. Sie geht weiter. Ich packe meinen Kram zusammen und damit der der nächste Stop nur 6km entfernt. Ich muss mich also sputen zu
VP16 – Samstag 07:30 Uhr
Ich bin mir sicher, ich bin an der richtigen Stelle. Die beiden sind sich sicher, sie sind an der richtigen Stelle. Treffen werden wir uns nicht. Dieser VP ist an einem Ort, an dem es keinen Handyempfang gibt. Weder D1/D2 noch E Netz. Ich habe das im Nachhinein gecheckt, weil ich wissen wollte was da los war.
In meiner Not fahre ich wieder zurück nach Horn-Bad Meinberg und versuche die beiden zu erreichen. Ich drücke immer wieder auf die Wahlwiederholung – nichts.
Darauf sind wir nicht vorbereitet. Was passiert, wenn man sich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht trifft…? Diese Frage wird mich noch länger beschäftigen.
Irgendwann erreiche ich Marina, verstehe sie aber nicht. Dann klingelt Ole durch, verstehen kann ich ihn aber auch nicht. Irgendwann habe ich so viele Wortfetzen zusammen, das ich weiß, das es Marina gerade nicht gut geht und so fahre ich ihnen mit dem Auto entgegen.
Ich komme am geplanten VP vorbei, steige aus und schrei ihre Namen in den Morgen. Nichts. Also fahre ich weiter und wieder einmal stehe ich vor einer Schranke, hinter dem der Weg weitergeht. Ich packe allerhand Sachen, die sinnvoll sein könnten in einen Rucksack und hole mein Faltrad raus. Das Teil wollte ich eigentlich nutzen, um einen Kamerafahrt neben den beiden zu machen, jetzt “rettet der Bock Leben”.
Eine Dose Cola und Traubenzucker später, geht es Marina wieder besser und als ob nichts gewesen wäre traben die beiden weiter Richtung nächsten planmäßigen VP
Ich bin froh, das die Übergabe funktioniert hat und fahre zum Auto. Jetzt erst merke ich, das es zu regnen angefangen hat. Ich packe alles ein und es geht zu
VP17 – Samstag 09:30 Uhr
So richtig kann ich nichts machen: es regnet und ich kann nichts aufbauen oder vorbereiten. Also warte ich brav auf die beiden, die irgendwann auch eintreffen. Mein Notizbuch liest sich so: “Marina hat sich derweil eine Blase gelaufen und “versorgt” sie auf ihre Art. Dann schreit sie auf und wenn Marina schreit, dann tut es wirklich weh.”
Aktuell ist es ein Kampf mit der Müdigkeit, mit der Kraft. Ole und Marina verlieren zunehmend ihre fröhliche Art, werden stiller. Das Ding muss jetzt mit dem Kopf gelaufen werden. Ich versuche ihnen so gut wie ich kann beizustehen. Ich weiß, machen kann ich nichts, aber ohne mich geht es auch nicht. Also geht es stillschweigend Richtung
VP18 – Samstag 11:00 Uhr
Was soll ich sagen: es regnet mittlerweile Bindfäden, die Temperatur ist auf +4 Grad gesunken, Graupel mischt sich unter. Ich sitze im trockenen Auto, weiß aber was die beiden gerade mitmachen müssen. Am Auto angelangt, tauschen sie nasse gegen feuchte Klamotten, motivieren sich mit Musik und Albernheiten. Spaß ist anders, gelacht wird wenig.
Es ist wie es ist und weiter gehts zum
VP19 – Samstag 12:20 Uhr
So langsam bin ich wirklich genervt. Es regnet, mir ist kalt, ich bin müde, das Warten macht meinen Hintern platt. Ich stehe mit dem Auto neben einem Monumental Funkturm aus den 1970er Jahren mit gefühlt 13000 Antennen dran, doch Handynetz habe ich wieder mal nicht. Auch das nervt. Ich weiß nicht wo die beiden sind, ich habe keine Unterhaltung ohne Netz und das heißt für mich warten, warten warten.
Doch dann kommt endlich mal die Sonne raus, ich geh aus dem Wagen, wechsle die Straßenseite und da ist Netz. Schnell lade ich irgendwelche Party Songs herunter und warte mit meinem mobilen Bluetooth Lautsprecher. Als ich die beiden erblicke, starte ich die lautstark die Wiedergabe. Marina tanzt, ich tanze. So geht das!! Music makes us alive.
Gleich steigt wieder die Laune! Manchmal sind es die kleinen Momente im Leben, die uns nach vorne bringen.
So traben die beiden von dannen. Ich mache das, was ich seit 30 Stunden tue, einpacken und weiter zu
VP20 – Samstag ca 13:50 Uhr
Es regnet und es hagelt. Ich stehe an einem Fernfahrer Parkplatz und die Autos ziehen eine Gischt hinter sich her. Zum Glück ruft Marinas Kumpel Elzo an und wir quatschen allerhand belangloses Zeug. Es tut gut, einfach mal ein bisschen zu reden, vielleicht auch zu jammern, wie blöd gerade alles ist. Danke Elzo!!
Irgendwann hört es auf zu regnen und ich gehe den beiden einfach entgegen, Was soll schon passieren? Abhängen werden sie mich nicht, die deutlich besseren Beine habe ich. Nach ca. 1 km kommen sie mir grölend entgegen: 200km schreien sie. Für Ole ein weiterer Meilenstein, für uns alle das Gefühl so langsam auf die Zielgeraden einzubiegen. 26km sollten doch noch irgendwie gehen. Apropos gehen: die beiden gehen jetzt immer häufiger, was die Wartezeit für mich natürlich noch verlängern wird. Marina erzählt, das sie während des Laufens wohl geschlafen hat. Das erzählen sich die Ultras immer wieder, persönlich habe ich es noch nicht erlebt. Laufen und schlafen. Ein skurriler Modus. Alles wie gehabt, allerdings wünschen sich Marina und Ole, dass der nächste Abschnitt von fast 14 km unterteilt wird. Ich mache mich an die Planung und füge einen VP ein. Es ist der
VP20a – Samstag ca 14:50 Uhr
Ich spanne einen Spanngurt zwischen Auto und Verkehrsschild, hänge nasse Sachen auf und versuche sie zu trocknen. Dann packe ich alles wieder ein und koche mir einen Instantkaffee. Dann gehe ich die Straße auf und ab. Mir ist langweilig, ich habe alles gemacht, was man machen kann. Das erste Mal will ich nach Hause. Mein Notizbuch vermeldet: die Müdigkeit klopft ans Auto, sonst keine Vorkommnisse. Ich muss konzentriert bleiben, schließlich fahre ich Auto, so döse ich noch ein paar Minuten vor mich hin, bevor es weitergeht zu
VP 21 – Samstag ca 15:50 Uhr
Ich stehe in einem Kaff, dessen Name ich hier nicht erwähnen möchte. Nur so viel: ich halte, mache die Heckklappe auf und krame in meinem Vehikel. Dabei bemerke ich, wie mehr und mehr Bürger des Ortes plötzlich auf der Terrasse rauchen, im Garten arbeiten oder einfach doof glotzen. Ich weiß schnell, die Leute wissen noch vor mir was in meinem Blog stehen wird. Naja, das Telefon geht, Marina ist leicht gereizt am Telefon und fragt, wo ich denn wäre. Wir tauschen unsere Koordinaten aus und ich sage ihr ca. 300m. Eigentlich hat sie mit den 1,5km wie sie sagt eher recht. Also fahre ich den beiden schnell entgegen, damit meine gut gemeinte Flunkerei nicht auffallen soll. Sorry Marina: Im Krieg und bei einem Ultra ist sowas erlaubt.
Das Ziel – Samstag 18:30 Uhr
Ich habe im Kopf, das unser Trip an der Nicolaikirche in Obermarsberg enden soll. Als ich auf Marsberg zu steuere, sehe ich auf einem 130 m hohen steilen Hügel aus der Ferne die Kirche. Das kann doch nicht sein denke ich mir, die beiden schreien mir das ganze Dorf zusammen, wenn ich ihnen sage, sie sollen da noch hoch. Fairerweise telefoniere ich mit Marina, was zu tun sei. Sie sagt, ich solle entscheiden.
So stehe ich mit müden Augen auf einem Kindergarten Parkplatz, recherchiere und checke Strecken. Es gibt Routen, die vor der oben liegenden Kirche enden, andere vor dem Bahnhof oder sogar dem Parkplatz eines Supermarkts. Wir entscheiden uns für die eleganteste Lösung: Die Kirche vor dem Marktplatz soll unser Ziel sein.
Ich baue also meine Hütchen mitten auf dem Marktplatz auf, schreibe mit Kreide “Ziel” aufs Pflaster und warte auf die beiden Akteure. Zusätzlich entfalte ich zwei mitgebrachte Camping Klappstühle. Getreu Marinas augenzwinkerndem Motto: “Gesessen wird erst ab 100 Meilen”, haben sie diese Sitzmöglichkeit mehr als verdient.
Ich hacke immer wieder auf meinem Handy herum, versuche den Tracker zu aktualisieren um zu wissen wo die beiden sind. Ich kann es einfach nicht mehr erwarten, gehe immer wieder die Straße herunter und schaue. Dann höre ich ihre Stimmen. Mega!! Nach fast 36 endet dieses Aben(d)teuer im Gran Finale. Ich filme die letzten Meter der beiden.
Gegen 18:30 Uhr kommen sie müde, stolz und glücklich auf den Platz, genießen abgekämpft ihren Triumph. Wir lachen über die Klappstühle, sie fallen hinein und freuen sich. Ein wenig sehen sie jetzt aus wie deutsche Touristen, die auf Grund der Corona Krise nicht in den Urlaub können und Marsberg mit Mallorca verwechseln. Herrlich! Wir flaxen rum, machen Fotos. Meine Jeans hat die letzten 36 Stunden nicht nur als Putz- und Trockentuch hergehalten und sieht dementsprechend aus. So ist es mir herzlich egal auf die Knie zu fallen um die beiden zu lobhudeln. Welch ein Moment. Nur wir drei in einem kurzes Vakuum. Der gemeine Marsberger schaut uns verwundert zu. Uns doch egal, wir haben das Ding gerockt. “Mission accomplished” wie es so schön heißt.
Dann ist der Spuk auch schon wieder vorbei, die beiden buxieren ihre geschundenen Körper Richtung Auto, ich packe alles zusammen. Ole bringen wir zum Bahnhof, der am selben Abend noch nach Göttingen kann. Marina und ich fahren heim.
Im Auto herrscht eine komische Stimmung, nicht real, schier absurd. Es ist was passiert in den letzten 36 Stunden, das spüren wir beide.
So etwas muss verarbeitet werden und so schaffe ich es auch erst über eine Woche später das Erlebte in Worte zu fassen. Für die werte Leserschaft wird es eine fast sachliche Dokumentation sein, für mich ist die Schreiberei eine emotionale Achterbahnfahrt. Mehrfach sitze ich einfach da, schaue in die Ferne und nicht nur einmal bekomme ich wässrige Augen. Daran werde ich wohl noch länger “Spaß” haben.
Ich war bei dem Lauf nicht dabei und doch bin ich ein wichtiger Teil des Teams gewesen, ohne das dieser Trip vermutlich nicht durchgeführt werden konnte. Und so nah ich dabei war, so weit war ich weg. Ich habe meinen eigenen Ultra erlebt! Es war toll und es war schön. Und ich würde es immer wieder tun. Und gedanklich sind wir drei noch lange nicht im Ziel.
Danke Euch allen, dass ich Teil dieses Trips sein durfte.
…und jetzt geht es weiter zu Marinas post:
„Project Hermann“
Es ist verrückt. Es ist verrückt wie schnell eine Woche vergehen kann.
Vor gut einer Woche befand ich mich auf einem circa 70km langen Wanderweg namens Eggeweg um die restlichen Kilometer der 226km langen Strecke der sogenannten Hermannsshöhen zu Ende zu bringen. Zeit und Raum sind wie weggeblasen. Wir befinden uns seit jeher in einem Vakuum, schwer zu sagen wo wir uns also genau vor einer Woche befanden.
Wir? Ja, wir bedeutet, Ole und ich, immer mit Christian alias Schluppe an unserer Seite. Schluppe versorgt uns mit dem allerfeinsten Kram, den ein Läufer so braucht auf dieser Reise, er schmeißt den mobilen Verpflegungspunkt.
Und just als ich diesen Satz niederschreibe, merke ich, dass ich viel zu viel auf einmal erzählen möchte. Wenn ich an das Wochenende zurückdenke, erlebe ich mich wie ein kleines Kind, dass von seinem Geburtstag schwärmt. Aber vielleicht fange ich einfach von oben an.
Vielleicht mit der Frage, was ich letztes Wochenende überhaupt gemacht habe und wie das ganze entstanden ist.
Letztes Wochenende bin ich, gemeinsam mit Ole, die Hermannsshöhen gelaufen. Die Hermannsshöhen sind ein 226km langer Wanderweg, der den Hermannsweg mit dem Eggeweg vereint. Der Hermann ist hierbei circa 100meilen lang, der Eggeweg bildet also den Rest. Zusammen gehören sie zu den Top Trails of Germany aka die 14 schönsten Wanderstrecken Deutschlands.
Nun zähle ich zu dem Typ Läufer, die immer irgendwo hin mitgenommen werden und einfach laufen, ohne wirklich zu wissen, an welchem schönen Fleckchen sie wohl gerade sind (ich weiß shame on me) . Es ist also klar, dass ich vor einem Jahr noch nie etwas vom Hermannsweg gehört hatte, geschweige denn die Hermannshöhen kannte. Dies hatte Elzo im letzten Mai allerdings geändert. Er besuchte mich aus Holland für ein Laufwochenende und brachte eine Karte mit.
„Ob ich Lust habe, auf ein Abenteuer“ hatte er damals gefragt. Ich verstand die Frage nicht.
Im Laufe des Sommers bequatschen wir das Ganze und Schluppe brachte zufälligerweise den Einwand ein, dass es doch den 100meiler bereits gäbe, organisiert von Jan Olaf. Elzo und ich brauchten also nicht lange, bis wir uns entschieden uns für den Lauf anzumelden.
Und dann? Was passierte dann? Ich denke, die Gründe, warum das Jahr 2020 von der Bildfläche verschwand, muss ich nicht weiter vorführen.
Der Lauf verschwand also in eine gedankliche Kiste. Für mich war es eh nicht so wichtig, es wäre auch eh „nur“ ein weiterer 100meiler geworden. Warum ich das so schnippig sage?
Zwei Läufe mit über 200km sind gerade abgesagt worden. Zwei Läufe, für die ich nicht nur hart trainiert hatte, sondern die auch mein vorläufiger Abschluss in der Ultraszene sein sollten.
Nun kam alles aber eben anders, als man denkt. Und wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich irgendwo eine andere. Es kam eins zum anderen und so beschlossen Schluppe und ich das ganze doch irgendwie in Angriff zu nehmen. Nur leider fehlte Elzo, da er in der aktuellen Situation nicht nach Deutschland einreisen durfte. Sein Segen holte ich mir aber und eins kann ich Vorweg nehmen, gedanklich war er die ganze Zeit mit dabei.
Bereits die Planung dieses Abenteuers war ein wahrliches Fest. Es brachte uns Licht in dieser dunklen Wettkampfzeit und noch mehr Ablenkung. Und so wurde mir schnell klar, dass ich das ganze Projekt mehr als ein Laufvorhaben sah. Ich wollte andere daran teilhaben lassen, andere Menschen in dieser Zeit motivieren einfach weiterzumachen und das zu tun, was wir alle so lieben.
Mehr kann ich fast schon nicht zur Planung erzählen und beitragen, da Schluppe hier die meiste Arbeit hatte-konkludent hatten wir uns dazu entschieden er macht die Planung und ich bin für das Laufen verantwortlich. Fast schon witzig, dass ich drei Tage vor Beginn des Laufes nicht Mals den genauen Ort des Ziels kannte, oder?
Nun gut, ich erzählte einige wenige Freunde und Bekannte vorab von meinem Laufvorhaben. Und so fand ich schnell jemanden, den ich motivieren konnte das ganze mit mir gemeinsam durchzustehen. Ole war schnell angefixt und entschied sich seine bisher längste Strecke mit mir zu erleben, wie in guten so in schlechten Zeiten sozusagen. Die Ultraläufer an dieser Stelle werden es kennen.
Wir planten den Start für Freitag, den 01. Mai um 8 Uhr in Rheine. Einen Tag zuvor holte ich Ole vom Bahnhof ab und wir quatschten genüsslich bei der obligatorischen Pastaparty über die bisherigen Laufabenteuer, die wir bis dato erlebten. Wir gingen früh ins Bett, sollte uns der Wecker am nächsten Morgen bereits um 4.45Uhr wachklingeln. Dass mit dem Wecker ging auch leider etwas in die Hose, da ich ihn versehentlich auf 5.45Uhr stellte. Erste Bewährungsprobe für Ole, der mich um 5Uhr, Gott sei Dank, geweckt hatte. Wir packten unser letztes Zeug zusammen, tranken Kaffee und stiefelten los zum vereinbarten Treffpunkt. Um circa 7.45Uhr kamen wir an einem Bahnhofsparkplatz in Rheine an. Hier sollte es also in weniger als 20min losgehen. Irgendwie unspektakulär und irgendwie auch doch.
Auf Queens legendärem „Don´t stop me now” ging es um 8 Uhr für uns auf den Weg. Die Blicke der müden Taxifahrer gegenüber von uns werden unvergesslich bleiben. Und dann war es soweit, wir liefen, einen Schritt nach dem anderen. Krass, dass ich das jetzt gerade wirklich tue, hatte ich mir gedacht, lange Zeit immer wieder davon geredet und nun ist es endlich soweit. Oft, nein eigentlich immer, male ich mir vorab Gedanken aus, wie die Strecke so aussehen könnte, was man alles so erleben wird und nun werden diese Bilder im Kopf zur Realität werden.
Die ersten Kilometer liefen ausgesprochen gut. Ole und ich hatten uns viel zu erzählen. Und auch Schluppe war beschäftigt, hatte er doch meinen Instagram-Account bekommen um unsere Freunde „up to date“ zu halten. Wir blödelten und scherzen viel rum. An einer Aussichtsplattform standen einige Radfahrer, die irgendwie merkten, dass mit uns etwas nicht stimmte. Sie fragten schnell, was wir hier machten. Nachdem ich es ihnen erzählt hatte, wollten sie es nicht so recht glauben, dass wir 226km zu Fuß machten. Ich erwiderte lediglich „Ist doch schließlich Tag der Arbeit heute“- Hach, scherzen kann ich.
Auch der vorab bis ins kleinste Detail geplante Verpflegungsplan vom Schluppe schien gut aufzugehen.
Na ja, bis zum dritten VP. Nach den eigentlich geplanten 8km war nirgends eine Spur von Schluppe zu sehen. Wir hatten Angst, wir hätten ihn verpasst, sodass ich ihm kurzer Hand eine Sprachnachricht schickte. Geplante Kilometer von Zuhause aus, sind halt nicht immer reale Kilometer, manchmal passt das geplante eben nicht, manchmal zeigt eine Uhr mehr Kilometer an, als es eigentlich sind. Von da an wusste ich, das wird öfter passieren. Da Schluppe weiß wie sehr ich es hasse, wenn nach den exakt geplanten Kilometern nichts ist (stellt euch bitte mal vor, man läuft Marathon und nach 42,2km ist man aber noch nicht am Ziel), hatte er die nächsten Kilometerangaben großzügig geplant.
Es dauerte nicht lange da stoß Sarah zu uns. Sie fragte mich einige Tage vorher, ob sie uns ein kleines Stück begleiten könnte. Darauf freute ich mich sehr. Da Ole und ich noch nie zusammen gelaufen sind, wusste ich vorab auch gar nicht, ob wir funktionierten. Ihr kennt das sicherlich, es gibt Menschen, mit denen kann man einfach nicht gut zusammen laufen, irgendwie läuft der jemand in einen solchen Takt, dass es einfach nicht funktioniert, oder aber sie oder er ist zu schnell, man will aber nichts sagen, sodass man sich viel zu schnell „kaputtläuft“. Bei Ole und mir schien es aber echt gut zu funktionieren. Und auch mit Sarah war es ein wirklich tolles Miteinander. Der erste Vormittag war quasi so toll, dass ich bis vor einigen Tagen wohl oder übel vergessen hatte, dass es da bereits am ersten Tag geregnet hatte (ich weiß es immer noch nicht so wirklich, aber Schluppe hat es erzählt).
Ole und ich waren durch Schluppes Vorarbeit gut auf das Projekt vorbereitet, denn Schluppe hatte einen gpx-Track für uns erstellt, den ich auf meinem Navi während der gesamten Zeit mit mir hertrug. Es gab aber auch offizielle Markierungen, ein „H“ kennzeichne den knapp 156km langen Hermannsweg, ein „X“ den anschließenden Eggeweg. Wie es immer so ist, passt an manchen Stellen der Track mit den offiziellen Markierungen nicht. Da wir aber den offiziellen Wanderweg liefen, blieben wir, wenn möglich, auch auf diesem und folgten im Zweifelsfall dem „H“. Dies führte letztlich dazu, dass wir Schluppe beim nächsten VP verpassten. Wir liefen wohl parallel zu ihm.
Kurzer Hand rief ich ihn an und wir sagten ihm, dass wir noch genügend Verpflegung haben und wir uns am nächsten geplanten Ort treffen sollen.
Im Nachgang ist es übrigens völlig unmöglich, dass wir Schluppe an dem VP verpasst haben, der Turm an dem er nämlich stand und wartete, ist auf keiner der Strecken zu übersehen. Das berichtete auch Sarah, die die Teilstrecke am nächsten Tag nochmal lief.
Bis auf diese kleinen Vorkommnissen war das erste Drittel des Laufes schnell und kurzatmig durchlebt.
Wir liefen entspannt und hatten eine recht gute Durchschnittsgeschwindigkeit. Am frühen Abend plagte mich dann das Gefühl, dass ich arg langsam sei. Ich hatte das starke Gefühl, wir seien noch nicht wirklich weit gekommen bis dato, wusste ich doch auch nie wie viel Kilometer wir bereits in der Tasche haben. Da das Unterteilen in kleine Strecken von VP zu VP besser für meinen Kopf ist, und da ich auch Orte der Strecke nie zuordnen konnte, war ich zu diesem Zeitpunkt etwas genervt. Als Ole auf die Frage „Haben wir es noch weit bis zur 100“ mit „ja“ antwortete, war für mich dann gefühlt alles gelaufen. Erste Ängste machten sich breit. Wie soll es bloß weitergehen, wenn ich mich jetzt schon so fühle bei nicht Mals der Hälfte der Strecke? Am nächsten VP schrie ich förmlich Schluppe an, mir wenigstens zu verraten, ob wir die 60km-Marke denn erreicht hätten. Beide hielten still. Ob ich das im Nachhinein gut fand, ist schwer zu sagen.
Nach einigen wenigen Kilometern nach dem VP schaute ich versehentlich auf meine andere Uhr. Ja, ich trug zwei Uhren, eine wie bereits erwähnt für den Kopf und die andere für die FKT Seite. Genau, da habe ich doch glatt unterschlagen, dass der Lauf ein FKT (fastest known time) Versuch war. Nun gut, diese Uhr zeigte mir dann doch bereits 96,5km an. Halleluja. Ich hatte wieder Energie. Wir hatten in etwas mehr als 12 Stunden beinahe 100km gerissen mit einigen Höhenmetern. Geile Sache.
Na ja vielleicht motivierte mich auch zusätzlich die von mir gewünschte Pizza und der warme Zitronentee am nächsten VP.
An diesem VP stärkten wir uns für den heranbrechenden Abend und für die Nacht. Wir schnallten uns die Lampen um und düsten hochmotiviert weiter. Ab hier, war Ole noch nie angekommen, noch nie hatte er mehr als 100km gelaufen. Das musste ein unbeschreibliches Gefühl gewesen sein.
Am Abend konnten wir uns ein wenig mit den von uns geposteten Stories auf einigen social media Kanälen ablenken. Auch habe ich persönlich viele motivierende Nachrichten erhalten. Das hat mich wirklich sehr gefreut. An dieser Stelle natürlich nochmals herzlichen Dank an alle.
Es wurde zunehmend kälter und gefühlt noch dunkler. Als ich zufällig auf mein Handy schaute, erblickte ich die Nachricht von Daniel, der sich anbot noch einige Kilometer mit uns zu laufen. Auch dieses Angebot habe ich mit Kusshand angenommen. Leider war es gar nicht so einfach auf Daniel zu stoßen. Am ersten schnell vereinbarten Ort waren Ole und ich zu schnell, sodass Daniel anmerkte, er komme uns entgegen. Bei diesem „Entgegenkommen“ haben wir aber Parallelwege nicht mitbedacht, sodass wir uns erneut verpassten.
Ein neuer Plan musste schnell her, sodass ich ihm vorschlug, zum VP zu Schluppe zu fahren und auf uns zu warten. Schließlich trafen wir uns und liefen einige Kilometer gemeinsam. Daniel, der in Bielefeld wohnt, war ein perfekter Guide für die Nacht, Ole und ich hätten uns sicherlich dort einige Male verlaufen, wäre Daniel nicht gewesen. Übrigens ist es schon erwähnenswert, dass Daniel bereits am Morgen diesen Tages einen Marathon gelaufen ist. Die Laufgemeinschaft ist einfach großartig.
Gegen drei Uhr erreichten wir wohl das Hermannsdenkmal. Nein eigentlich waren wir schon daran vorbeigelaufen, denn als wir Schluppes nächsten VP erreichten, hatten die beiden mir dies eben genauso gesagt. Meine geografischen Kenntnisse sind der Hammer. Egal.
Wir waren alle zu diesem Zeitpunkt wohl etwas müde und leise. Die bisher so freudige Stimmung wurde zu keiner richtigen Stimmung mehr. Ole und ich schnappten uns an den VP´s nun unsere Schlafsäcke um uns in der Nacht während der kurzen Pausen etwas wärmer zu halten. Drei Mal sagte mir Schluppe, dass ich mit meinem Schlafsack aufpassen solle, damit ich den Brenner nicht umkippte. Mein Hirn muss zu diesem Zeitpunkt nicht mehr richtig funktioniert haben, denn ich erwiderte zwar mit einem „Ja“, passte aber nicht richtig auf und der Brenner mit warm werdenden Wasser fiel selbstverständlich um.
Schluppe war angefressen und packte uns mit den Worten „Ihr schlaft jetzt erstmal 15minuten“ in den Wagen. Nach zwei Minuten Stille, merkten Ole und ich aber, dass wir beide überhaupt nicht müde sind und standen wieder auf. Nur blöd, dass wir nicht aus dem Auto kamen und Schluppe gerade seinen Streak absolvierte.
Das letzte Stück des Hermannsweges brach nun an und wir freuten uns, wenn es langsam wieder Tag werden würde. Es wurde still um uns, sodass uns in der Nacht ein gemeinsamer Freund anrief, der wissen wollte, ob wir denn noch laufen würden. Wir trotteten still und liefen mal nebeneinander, mal hintereinander hinterher. Als wir die Externsteine dann endlich erreichten, war es so, als würden wir nun endlich wieder wach werden. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es nun langsam anfing zu dämmern.
Wieder ein weitere Ritterschlag für Ole, der nun seinen ersten 160km Lauf absolviert hatte und das Ganze in knapp 22 Stunden.
Als wir auf den Eggeweg zuliefen, passierte nicht ganz so viel, wir liefen eher still nebeneinander her.
Ich weiß, dass ich im nächsten Abschnitt beim Laufen schlief, denn ich fand es ganz witzig, dass Ole dies nicht mitbekam. Allerdings habe ich deshalb auch keine Erinnerung mehr an diese Passagen.
Der Eggeweg war nicht mehr ganz so schön wie der bisherige Hermannsweg. Er glich mehr einem breiten Feldweg, der nach jedem Kilometer, wenn es um die Ecke ging, wieder genau gleich aussah. Und es wurde zwar heller, allerdings wurde es auch kälter und es regnete stark. Ole und ich hörten zu diesem Zeitpunkt jeder mit seinen Kopfhörern Musik um uns von dem Wetter abzulenken. Die drei Lagen Klamotten, die ich trug, waren durchnässt. Noch schlimmer wurde es, wenn wir an der Verpflegung eine kurze Weile Pause machten und danach wieder anliefen. Alle meiner Körperstellen waren kalt, steif und müde. Auch die Teilstrecken zum nächsten VP wurden länger, weil wir natürlich langsamer wurden. Wir hatten keine Lust mehr. Wir waren fertig. Sozusagen „done“, wie ich immer so gerne sage.
Als wir erneut Schluppe aufgrund eines Wegefehlers (vermutlich durch Ole und mir verschuldet) verpassten, war meine Laune wie weggeblasen. Ich hatte Hunger, ich hatte Durst, mir war kalt und mein Körper war müde. Noch schlimmer war es, dass wir Schluppe nicht erreichen konnten, da wir uns an dieser Stelle in einem Funkloch befanden. Bevor Ole und ich uns dann weiter ankeiften, entschieden wir uns einfach still hintereinander herzulaufen. Auch das muss man können. Stille aushalten. Wie motiviert man sich an dieser Stelle? Schwer zu sagen, ich denke man läuft einfach, einen Schritt nach dem anderen, ohne viel darüber nachzudenken. Und natürlich mit dem Wissen, dass es nicht mehr weit ist zum Ziel.
Einen neuen Motivationsschub gab es erst, als wir die 200km Marke erreichten. Wir konnten wieder lachen und scherzten herum. Die letzten 26km. Sechsundzwanzigkilometer! Das ist nichts. Aber leider hatte ich einen kleinen Denkfehler mit den nächsten VP´s, sodass ich dachte, wir haben weniger Kilometer vor uns als es tatsächlich waren.
Ich erinnere mich an dieser Stelle an ein Gespräch mit Ole, bei dem er überrascht feststellte, dass die Phasen, an denen es einem schlecht geht, viel länger anhielten, als bei einem Marathon.
„Bei einem Marathon weiß man, dass es einem zum Ende hin kurz schlecht gehen würde, aber das geht auch schnell wieder vorbei. Hier halten sich die Phasen gerne mal über Stunden. STUNDEN!“
Genau, ich hing auch wieder in so einer „schlechten“ Phase. Und auch Ole, war so müde, dass das vorletzte Stück zu einer langen Wanderpassage wurde. Höhen und Tiefen gibt es bei einer solchen Länge nun immer mal wieder. Gott sei Dank wechselten sich Ole und ich uns hier ab, sodass wir uns super ergänzten.
Am letzten Stück war es nämlich so, dass Ole so motiviert war, dass er glatt in einem 6er Schnitt laufen konnte und ich überhaupt keine Lust mehr hatte, sodass ich von allen um mich herum genervt war.
Als Schluppe dann auch noch anrief um mich zu fragen, wo das Ziel sein sollte, wollte ich nicht mehr. So überhaupt gar nicht. Soll er doch entscheiden. Mir ist es egal. Hauptsache wir laufen nicht mehr Kilometer als wir planten. Wir entschieden uns für die Kirche in Marsberg.
An dieser Stelle würde ich gerne beschreiben, wie emotional unser Zieleinlauf war. Es war aber leider nicht so. Wir waren froh und dankbar, dass Ziel erreicht zu haben, klar wir waren happy. Wir freuten uns aber auch endlich heimfahren zu können um uns ins Bett zu legen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung wie lange wir unterwegs waren. Am nächsten Tag erfuhr ich es waren 34 Stunden und 55 Minuten.
Es dauerte einige Tage bis ich realisieren konnte, dass ich wirklich 226km gelaufen bin, meine zweitlängste Distanz bisher und das einfach so. Es fühlte sich an als würde für ein kurzen Moment die Zeit stehen bleiben und erst dann weiter gehen, wenn wir wieder Zuhause sind. Eine solche Distanz gleicht einem einwöchigen Wanderabenteuer, vielleicht auch aufgrund der emotionalen und körperlichen Achterbahnfahrt.
Ich erhielt so viele Motivationsnachrichten, dass ich mich mehr als freute. Mein Ziel, mit diesem Projekt mindestens einen Menschen zu motivieren, hatte ich erreicht. Es war der Wahnsinn. Es war ein unglaubliches Gefühl.
Wie ich bereits zu Beginn erwähnt habe, befinde ich mich wahrscheinlich immer noch in einem Vakuum, denn dass das ganze Abenteuer schon vorbei ist, habe ich vermutlich noch nicht ganz begriffen.
Es dauert einige Tage, bis man verarbeitet, was man da geleistet hat, was WIR geleistet haben.
Vielleicht planen wir bald schon das zweite Abenteuer. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht wurden durch dieses kleine Projekt andere motiviert, eigene Grenzen zu durchbrechen, vielleicht aber auch nicht.
Eines kann ich mit Sicherheit sagen, ich vermisse die Wettkämpfe, weil ich es vermisse, meine Freunde zu treffen und neue Menschen kennen zu lernen. Durch das Projekt habe ich genau das gehabt, das Gemeinschaftsgefühl, das Wiedererkennen meiner Gründe fürs Laufen. Für mich wird es für eine Zeit lang erstmal so weitergehen, eigene Projektvorhaben umzusetzen und mal erforschen wie weit ich komme, wen ich kennenlernen und wen mitnehmen darf. Ich freue mich auf diese Pause. Ich freue mich, dass ich Laufen kann, wo und wann ich will. Außerdem freue ich mich darauf neue Abenteuer zu erleben. Run free, run wild.
Und weiter geht es zu Oles Impressionen:
Projekt Hermannshöhen
Nun schreibe ich auch einmal meine Gedanken zu unserem Projekt Hermannshöhen nieder. Ich finde es immer sehr schwer meine Läufe, Wettkämpfe oder Abenteuer in Worte zu fassen. Aber dieses Projekt ist es wert niedergeschrieben zu werden.
Ich möchte einmal damit anfangen warum ich überhaupt Ultras laufe.
Ich habe früher nie an Wettkämpfe gedacht, war in der Schule nie der Wettkampftyp, sondern bin einfach nur gerne und lange in die Natur gegangen. So ist es heute noch. Dies ist vielleicht der Grund warum die Corona Zeit mir wenig ausgemacht hat und ich gemerkt hab, dass ich sportlich nochmal einen richtigen Sprung gemacht habe.
Aber irgendetwas fehlte dann doch. Ich konnte mich selbst nicht zu einem „richtigen Projekt“ motivieren oder bewegen.
Ich merkte, dass doch etwas fehlt. Die Erinnerungen an meinen letzten sehr erfolgreichen Wettkampf im Februar kamen immer öfters hoch. Dort lernte ich Marina kennen. Was heißt kennen lernen, es waren eher fünf Minuten Smalltalk.
Am Ende Mai hatten wir eine Konversation über Instagram in der Marina erzählte Sie wolle den Hermannsweg laufen. Großartig dachte ich mir, aber nichts für mich. 100 Meilen ist nicht meine Distanz. Da warte ich lieber noch etwas. Aber viele werden es kennen, wenn sich ein Gedanke erst einmal im Kopf herumschwirrt usw.
Die Zeit verging ich hatte durch Corona viel Zeit für Sport. Zehn Tage vor dem Projekt läutete Marina ihr Vorhaben mit einem Instagram Post ein. Doch ein Hashtag verriet, das es 226KM werden sollten. Damit war ich endgültig raus. 226 Km unmöglich für mich. Hermannsweg und Eggeweg kombiniert auf keinen Fall.
Zum Glück hat Marina nicht locker gelassen. Drei Tage später war ich dank der Überzeugungsarbeit von zwei Menschen, überredet mitzukommen. So richtig überzeugt war ich allerdings noch nicht. Das war eine Woche vor dem Lauf. Manchmal macht man sich Wochen vor einem Lauf verrückt, stellt sein Training um oder beginnt mit dem Tapern und ich soll jetzt einfach so laufen?
1 Mai. 2020
Ich stehe mit zwei mir fast unbekannten Personen am Bahnhof in Rheine. Kein Problem wir sind alles Ultraläufer, wir wissen, wir haben die gleiche Basis. Das funktioniert in den meisten Fällen blind.
Aber kann das auch über anderthalb Tage gutgehen? Ich versuche alle Gedanken, die mir durch den Kopf schwirren zurückzustellen. Ich weiß ich darf nicht viel bei diesem Lauf denken. Ich muss ein Vakuum in mir schaffen. Wir laufen los. Ich bin unsicher, soll ich viel reden oder weniger. So trotten wir los. Die ersten Km laufen flach, ja schon eher langweilig, gut um schon einmal in einen Trott zu kommen. Die Navigation pendelt sich ein. Marina, die den Hauptteil der Navigation Arbeit übernommen hat macht einen guten Job. Und wenn wir mal einen Abzweig verpassen, meldet sich die Uhr und wir korrigieren. Am ersten VP wartet Schluppe wir haben Spaß und machen unsere Scherze. Ich fühle mich wohl. So geht es immer weiter. Die Strecke wird schöner hat immer mehr kleine Anstiege und Downhills.
Marina läuft immer von VP zu VP und weiß nicht die gesamten Kilometer. Ich nehme mir vor auch nicht mehr auf die Uhr zu schauen. Eigentlich gar nicht meine Art. Ich liebe es zu wissen wie weit es noch ist und wie viele Höhenmeter noch kommen. Aber ich versuche es, stelle auf der Uhr die Uhrzeit ein. Lustig meine Uhr zeigt nur die Uhrzeit an denke ich zwischendurch.
Die Landschaft fliegt weiter an mir vorbei. Wir haben beste Laune. Kurz bevor Sarah uns auf der Strecke trifft, erreicht uns ein kurzer Regenschauer. Aber zum Glück ist es kurz danach wieder sonnig. Die Kilometer mit Sarah machen wirklich Spaß. Allerdings sind da zwischendurch immer wieder dies kleinen fiesen Anstiege. Ich merke das wird hart werden. Die bringen keine Höhenmeter machen aber trotzdem müde. Egal kühlen Kopf bewahren und langsam machen.
Es klappt zwischen uns richtig gut. Die Phasen, in denen wir Blödsinn machen und in denen wir einfach nebeneinander herlaufen sind sehr ausgewogen. Zwischendurch freue ich mich immer wieder auf Schluppe, der mit seinen mobilen VP fast alle 10 km an der Strecke positioniert hat. Die orangen Warnhütchen haben mir immer ein lächeln ins Gesicht gezaubert. Irgendwann sagt Marina, dass Sie gerne Musik hören möchte. Ok denke ich und setze meine Kopfhörer auch auf und versuche mich auszubremsen. Musik macht mich schnell das kann ich hier nicht gebrauchen. Die Musik dröhnt ich habe das Gefühl dass wir beide beste Laune haben.
Dann schaue ich dann doch ausversehen auf meine Uhr. 70 km Uff… fühlt sich komisch an, ganz schön viel, aber doch so wenig. Bin aber doch froh zu wissen, wo wir sind und dass wir nicht zu langsam unterwegs sind. Ich versuche alle Gedanken zu verdrängen. Anscheinend denkt Marina genauso. Irgendwo bei Kilometer 73 fragt sie mich ob es bis zu den 100 km noch weit sein.
Was soll ich jetzt sagen? Ja bis 100 km ist es noch ganz schön weit oder lieber ne sind ganz nah dran…
Ich weiß nicht mehr was ich gesagt hab aber irgendeine Mischung war es wohl. Beim nächsten VP. bei Km 82 fragte Marina sichtlich genervt Schluppe ob wir den wenigsten schon 60km haben. Man merkt, dass es ihr nicht gut geht.
In diesem Moment habe ich nur gedacht „Scheiße was hast du getan. Das wollte ich auch nicht. Wie komme ich aus der Situation wieder raus?“ Ich hatte mir ungefähr ausgerechnet, dass wir für die 100km 12h benötigen würden. Viel schneller, als das was ich erwartet habe. Wir waren voll im Soll.
Zum Glück fragte Schluppe uns, ob wir etwas am nächsten VP etwas wünschen.
Marina antwortet sofort; „Pizza“ Puh dachte ich nur. Der Gedanke an das Essen lässt sie hoffentlich die Kilometer vergessen. Also weiterlaufen. Weiter zur nächsten Verpflegung hangeln und die Laune hochhalten. Hat wunderbar geklappt.
Zu diesem Zeitpunkt hat mich schon ein ganz schönes Vakuum umgeben, ich habe gemerkt, wie ich immer ruhiger wurde und in mich gekehrter.
Der Gedanke was nach den 100km kommt setzte sich in meinem Kopf fest. Auf einmal holte Marina mich aus meiner Gedankenwelt. Sie hatte auf Ihre zweiten Uhren geschaut und die gesamten Km gesehen. Fast 100. Zack da war die Laune trotz strömenden Regen wieder da 😊
Kurz vor den 100km wartete Schluppe mit Pizza und Tee unter einer Brücke auf uns. Wie romantisch.
Auf dem nächsten Teilstück erwartete uns ein schöner Sonnenuntergang und wirklich schöne Aussichten. Zum Glück gibt es heute Social-Media. Immer wieder wurden wir beide von ganz lieben oder sehr motivierenden Nachrichten abgelenkt. Das hat und beiden zu diesem Zeitpunkt wirklich sehr geholfen.
Nun kommt die Nacht. Bisher bin ich nur zwei Mal in die Nacht hineingelaufen. Ich war gespannt was uns erwartet.
Marina verabredete ein Treffen mit Daniel. Am vereinbarten Treffpunkt war er noch nicht. Er wollte uns entgegenkommen. OK kein Problem meine Laune war gut. Etwas Abwechslung und das auch noch nachts tut gut.
Wir kommen an eine Weggabelung. Der GPS Track von Marina sagt Links. Ich habe einen Einwand, da die offiziellen Wegweiser nach rechts zeigen. Marina gibt nach. Also laufen wir rechts. Aber sicher bin ich mir auch nicht, nach ein paar hundert Metern merken wir, dass wir vom Höhenkamm abkommen. Mit dem Gedanken das sich Daniel auf dem parallelen Weg oberhalb befindet, checkt Marina ihr GPX Gerät und Handy. Da passiert es. Ein Stock schiebt sich zwischen Marinas Zehen, da sie in Sandalen läuft, ist auch gleich die Haut an einem Zeh komplett weg. Ich fühle mich scheiße, nur weil ich mal wieder nicht den Mund halten konnte. Wie oft haben wir an diesem Tag schon erlebt, dass Wegweiser falsch aufgebaut waren. Ich bin unglaublich wütend auf mich selbst. Zum Glück nimmt Marina, zumindest nach außen, alle sehr gelassen. Und so treffen wir Daniel am nächsten VP und er läuft ein gutes Stück der Hermannlaufes mit und unterhält uns sehr gut. Vielen Dank dafür.
Es wird sehr kalt in der Nacht. Am Hermannsdenkmal beginne ich das erst mal zu frieren. Es ist in der Nacht viel kälter als erwartet und der Kalorienverlust tut sein Rest. Das loslaufen nach den kurzen Pause und der guten Versorgung von Schluppe fällt zunehmend schwerer. Egal machen wir ja alles freiwillig und außerdem sind die Externsteine nicht mehr weit. Ich kannte im Voraus nicht viel von der Strecke oder Gegend. Aber die Externstein sind mir ein Begriff und ich wollt da immer mal hin. Ok wieder mal einen kleinen Happen Motivation gefunden. Sehr gut ich merke das ich mich immer noch freuen kann.
Angekommen an den Steinen beginnt die Morgendämmerung, geil ich schalte meine Lampe auf volle Stufe und beleuchte den ganzen See und die Steine. Genauso wie ich es schon auf unzähligen Bildern gesehen habe. Hier hat mein Onkel schon einmal Polarlichter gesehen und unglaubliche Fotos gemacht. Diese Bilder habe ich im Kopf.
Schluppe wartet 300 Meter entfernt auf uns. Beim Zähneputzen fragt er uns, ob wir weiterlaufen wollen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir den Hermannsweg mit seinen 156 km geschafft. Da denke ich gerade nicht mehr dran. Aber es geht uns vergleichsweise gut, also warum sollten wir aufhören?
Nun geht es auf den Eggeweg. Ich weiß das es nicht mehr weit ist bis zu den 100 Meilen.
Es wird zunehmend heller und ich begreife, dass das Wetter am zweiten Tag sehr schlecht werden wird. Ok hilft ja nichts. Wir laufen in ein kleines verlassenes Tal. Kein Netz schlechtes GPS Signal, unverständliche Beschilderung. Ich habe keine Ahnung wie wir uns verpasst haben und wo wir anders hätten Laufen müssen. Wir hatten nur kurz telefonisch zu Schluppe Kontakt. Um zu ihm zu kommen, hätten wir ca. 500 meter zurücklaufen müssen. Marina war zu diesem Zeitpunkt sehr angefressen. Zurücklaufen war für sie keine Option, also weiter den Berg hoch.
Ich hatte auf der Karte gesehen, dass nun endlich ein längerer Anstieg auf uns wartete. Sehr gut, den Berg hoch stapfen kann man immer. Zwischendurch mal die Uhr angeschaut. Bäääm 160km voll. Innerlich Feuerwerk und Freude. Nach außen lieber nichts zeigen, ich weiß nicht wie Marina reagieren würde.
Ab jetzt beginnt eine Phase, die ich schwer beschreiben kann, ja sogar ein ganzer Tag. Ich hatte erwartet, dass mich irgendwann die Schmerzen einholen. Bis jetzt tat irgendwann immer etwas weh. Aber irgendwie kam kein Schmerz. Natürlich der Körper wurden müde, aber es tat nichts richtig doll weh. Also keine Pain Cave für mich. Ich war eher wie in Trance, einfach immer weiterlaufen. So langsam begriff ich, was ich hier überhaupt mache. Ich habe allerding viele Stunden vom zweiten Tag ausgeblendet. Und sie sind auch im Nachhinein nicht mehr da.
Irgendwann kamen die 200 km dieses Mal habe ich mich gefreut, denn das Wetter wurde besser und Marina wusste die Distanz. Jetzt noch 26km das muss doch machbar sein. Naja gut, wir haben nur noch 6-7 km in der Stunde gemacht. Macht noch über 4h bloß nicht dran denken. Weiter Party machen, ob man es glaubt oder nicht wir waren zwischendurch immer noch lustig drauf.
Bei Km 203 wartet ein 3km langer Anstieg. Nicht richtig steil, aber auch nicht flach so 10% Steigung. Ich schlafe immer wieder beim Gehen ein und sehe Waldarbeiter im Wald, um kurz später festzustellen, dass dort niemand ist. Am höchsten Punkt bei Km 210 entscheidet sich meine Uhr den Lauf zu beenden und abzubrechen. Ich bin unglaublich wütend.
Marina meint zu dem Zeitpunkt, dass es nur noch 7 km sind. Zum Glück liest sie nicht die Wegweiser, die mir verrieten, dass es noch 16 km sind. Egal einfach weitermachen.
Bei Km 215 machte Marina eine kurze Pinkelpause. Ich weiß bis jetzt nicht was mich da übereilt hat. Jedenfalls fing ich zu rennen, den Anstieg hoch, die Uhr zeigte 5:30min/km an. Oben angekommen hatte ich ein schlechtes Gewissen, wir hatten uns 33h nicht aus den Augen gelassen, immer Sichtkontakt und jetzt laufe ich einfach so weg? Auf der anderen Seite merkte ich das meine Beine, die durch das Tempo entstandene Dehnung brauchten. Sie fühlten sich wieder etwas mobiler an. Auch hier verzeiht Mariana mir wieder einmal. Eine bessere Laufpartnerin kann man sich nicht wünsche, dachte ich mir.
Nun kamen noch Zwei Dörfer, 9 km. Harter Asphalt und Wellig. Ich fing an die Km anzusagen. Irgendwann überkam mich ein Gefühlt der Freude, aber nicht für mich, sondern für Marina. Ich dachte mir wow gleich hat sie ihren Lauf geschafft und ich darf sie auf den letzten Kilometern begleiten. Ich begriff nicht mehr das ich Teil dieses Projekts war. Es fühlte sich einfach wie einer dieser Trainingsläufe nach einer Partynacht an. Kotzübel und Müde aber man freut sich, dass man laufen darf. Dieses Gefühl hat bis ins Ziel angehalten.
Nach 226 km und 34 h, 55 min erreichten wir Marsberg.
Das sind die Gedankenfetzen, die ich noch von diesem Lauf habe.
Ich kann mich gar nicht oft genug bei Schluppe und Marina für dieses Wochenende bedanken. Es hat mich mit so viel Glück erfüllt wie schon lange nichts mehr.
Und was bleibt?
Wir werden wohl noch öfters zusammenlaufen. Das war das Chapter One von den TToG .
Danke Dir Marina, dass Du mir erlaubt hast, Deine Geschichte hier zu veröffentlichen. Und Danke dir Ole, du hast mir gezeigt, was man schafft wenn man die “Eier hat” über seinen Schatten zu springen. Und auch Du mir deine Gedanken zur Verfügung gestellt hast.